Der Mann im Hintergrund

Matthias Kumlehn tritt ein großes Erbe an, als er vor einem Jahr die Geschäftsleitung der Kaufhäuser Schwager und des Weserhotels in Holzminden übernimmt. 30 Jahre arbeitet er an der Seite von Visionär Ralf Schwager, der im vergangenen Mai unerwartet stirbt. Kumlehn verrät, welche Projekte er von seinem ehemaligen Mentor weiterführt und wo er eigene Spuren hinterlassen möchte.

„Nie zurückblicken, sondern immer voran, egal, was passiert.“

100 Jahre Schwager

Das Kaufhaus Schwager begeht in diesem Jahr sein 100-jähriges Firmenjubiläum. Das erste kleine Kaufhaus wurde 1923 in Stadtilm in Thüringen gegründet. 1936
eröffnete ein weiteres Haus in Eisenach – das heute als das Stammhaus gilt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dieses von der DDR enteignet – die Familie Schwager floh nach Holzminden und begann mit einem ­neuen Textil­haus von vorne. Der verstorbene Ralf Schwager führte das Haus in der dritten Generation und verhalf ihm zu dem heutigen Wachstum und Erfolg. Heute zählt das Unternehmen sechs Standorte und über 230 Angestellte.

Ralf Schwager
Der 1941 in Eisenach geborene Ralf Schwager kam als Kind nach Holzminden, machte Abitur und arbeitete dann als Einkäufer weltweit für den Kaufhaus-Konzern Hertie. Seit 1974 lebte er wieder in Holzminden und engagierte sich für die Belange der Stadt, ohne parteipolitisch aktiv zu sein. Er erhielt 2008 das Bundesverdienstkreuz und 2017 den HAWK-Preis. Immer wieder und bis ins hohe ­Alter kreisen ihm neue Ideen im Kopf herum – so wollte er den Onlinehandel in und um Holzminden neu erfinden, indem er die bestellten Waren mit einer Rikscha liefern lassen wollte. Kein Profitgeschäft, sondern Werbung.
Im Mai 2022 verstarb Ralf Schwager nach kurzer Krankheit im Alter von 80 Jahren.

Die Weser fließt mit leichter Strömung dahin. Flache Ufer. Ein Radweg entlang des Wasserlaufs. Baum­alleen. Schöner als das Weserhotel in Holzminden kann ein Hotel fast nicht liegen. Der Umbau der ehemaligen Jugendherberge vor neun Jahren zu einem Drei-Sterne-Superior-Hotel war eines der unzähligen Projekte von Ralf Schwager. Der neue Anbau mit weiteren 35 Zimmern ging 2016 in Planung. Es ist eines der letzten umgesetzten Vorhaben des legendären Holzmindener Visionärs, der sich wohlwollend, aber auch kontrovers für die Stadt an der Weser eingesetzt hat und im vergangenen Mai mit 80 Jahren verstarb. Groß ist die Leerstelle, die er hinterlässt. Und fast körperlich ist sie an jenem Tag im November spürbar, als halb Holzminden auf dem Richtfest des Hotel­anbaus anwesend ist, trauernd und feiernd zugleich. „Tragen Sie die Visionen von Ralf Schwager, die mit diesem Projekt verbunden sind, in die Welt hinaus“, sagt Matthias Kumlehn, der Mann, der als neuer Geschäftsführer nun anstelle von Schwager die Rede hält.

Erste Begegnung mit Ralf Schwager vor 30 Jahren

30 Jahre ist es her, dass sich Ralf Schwager und Matthias Kumlehn das erste Mal begegnet sind. „Wir haben uns von Anfang an gut verstanden“, erzählt der 55-Jährige mit Wehmut in der Stimme. Wir sitzen im Restaurant des Weserhotels und schauen durch die großen Panoramafenster hinaus ins Grüne. Vor nicht ganz vier Jahren saßen wir hier, fast am selben Tisch, im Interview mit Schwager (siehe Kasten auf Seite 94) und sprachen über dessen neue Projekte und Pläne. „Im letzten Jahr war ich nur der Problemlöser, und ich merke auch nach fast einem Jahr als Geschäftsführer: Das Wasser, indem ich mich bewege, ist noch ganz schön frisch und kalt“, sagt Kumlehn, der schneller als geplant in seine neue Position wie ins kalte Wasser geworfen wurde. Dass er die Geschäftsführung übernehmen wird, war seit Langem klar. Dass der Geist Schwagers weiterhin über allem schweben wird, auch.

Für seine Nachfolge hatte Schwager weit vorausschauend gesorgt. Immer wieder sprach dieser von seinem ,Klo-Zettel‘, auf dem er mögliche Kandidaten für die Führungsposition notierte. Die Wahl fiel noch weit vor seinem Tod auf Kumlehn, die Formalitäten wurden spät, aber noch rechtzeitig in die Wege geleitet. Vorbereitet ist man auf so etwas trotzdem nie ganz. Die gesamte Belegschaft des Unternehmens musste sich von dem Schock erholen, sowohl die Angestellten im Hotel als auch jene in den Kaufhäusern. Kumlehn, der Zahlenmensch, musste plötzlich lernen, wie Personal zu führen ist, und das Personal musste lernen, was es bedeutet, noch mehr ­Eigenverantwortung zu übernehmen. „Bisher war es so gewesen, dass man sich hinter der breiten Schulter des Chefs verstecken konnte. Die Zeiten waren nun vorbei“, sagt Kumlehn lakonisch. Für viele war Ralf Schwager Mentor und Freund, auch streitbar, wenn es um die ­Sache ging. Er war jemand, der von morgens bis abends im Geschäft war, jeden kannte und mit jedem sprach. Viele Mitarbeitende arbeiten seit mehr als 20 Jahren im Kaufhaus. Aus diesem Grund durfte im letzten Jahr auch Platz für die Trauer sein, obwohl das Schwagers Sache nicht war. Er war selbst noch im Krankenhaus voll von Lebensmut und Tatendrang. „Das habe ich von ihm gelernt“, erzählt Kumlehn. „Nie zurückblicken, sondern immer voran, egal, was passiert.“

Vom Verwaltungsleiter zum Geschäftsführer

An der Größe der Fußstapfen scheint Kumlehn sich nicht zu stören. Er ist ruhiger und unaufgeregter als sein Mentor und konnte vermutlich nur so neben jemanden wie ihm bestehen. „Wenn wir uns gestritten haben, dann um die Sache. Letztlich nahm Ralf Schwager auch fremde Ideen auf, als wären es seine eigenen gewesen,“ erzählt Kumlehn mit einem Augenzwinkern. Der gebürtige Holzmindener kam damals eher zufällig zu ‚Schwager‘ – dem Erlebniskaufhaus der Schwager GmbH & Co. KG. Neben dem Kaufhaus und dem Sportgeschäft in Holzminden gehören noch fünf weitere Standorte in Eisenach, Bad Langensalza, Bad Pyrmont, Steinheim und Seesen, mehrere Immobilien und das besagte Weserhotel zum Erbe von Ralf Schwager.
Kumlehn macht nach seiner Fachhochschulreife eine Ausbildung zum Bürokaufmann, dann folgt die Bundeswehr als ‚Findungsphase‘, wie er es selbst nennt. Anschließend wollte er in Hildesheim Betriebswirtschaft studieren. „Doch dann kam das hier dazwischen“, sagt er lachend – sein Studium zum Betriebswirt machte er dann berufsbegleitend während der Zeit bei Schwager. Über einen Bekannten kam er ins Unternehmen und wurde nach kurzer Zeit Verwaltungsleiter bei ‚Schwager‘ und später rechte Hand von Ralf Schwager. Er war für Verwaltung, Logistik, Versicherungswesen, Finanzen, Datenschutz, Digitalisierung und EDV verantwortlich. „Ich bin mehr so der Mann im Hintergrund“, sagt er. „Damals wie heute.“ Ebenfalls im Hintergrund agiert die Gesellschafterversammlung der Schwager GmbH & Co. KG, die aus sieben Familienmitgliedern besteht – aus zwei Schwestern, vier Nichten und einem Neffen des Verstorbenen. Es bleibt also weiterhin ein familiär geführtes Unternehmen. Das ist allen Beteiligten wichtig. Die Witwe Roswita Schwager hat sich aus den Geschäften zurückgezogen. Und mit dem Geschäftsführer Matthias Kumlehn und der neu eingesetzten zweiten Geschäftsführerin Sandra Trapp, die für Marketing, Einkauf und Personal zuständig ist, werden die Geschäfte auch in deren Sinne weitergeführt.

Matthias Kumlehn ist inzwischen das Gesicht in Holzminden, dass mit ‚Schwager‘ in Verbindung gebracht wird. Sehr wohlwollend wurde er von den Menschen und vor allem den Mitarbeitenden vor Ort aufgenommen. Unterstützung kam von vielen Seiten, und so liefen und laufen die Geschäfte gut. Abgesehen davon, dass das Kaufhaus Schwager mit ähnlichen Lieferengpässen wie viele Einzelhändler zu kämpfen hat. Auf den drei Etagen Verkaufsfläche ist davon jedoch nichts zu spüren. Es ist alles da: Mode, Lederwaren, Haushaltswaren, Heimtextilien und Spielwaren – Ralf Schwagers liebste Abteilung, wie er uns damals verriet.
Auf die Frage an Kumlehn, welche Visionen und Ideen er selbst in der Zukunft umsetzen will, reagiert er zunächst zurückhaltend. „In meinen Entscheidungen wird mir von der Gesellschafterversammlung sehr viel Freiheit gewährt, weil wir einander vertrauen“, sagt er. „Doch erst einmal werden wir die angefangenen Projekte von Herrn Schwager abschließen.“ Das ein oder andere dürfe sich auf dem neuen Weg dann aber doch bald schon ändern: Während Schwager noch jedes Schriftstück auf Papier ausgedruckt auf seinem Tisch haben wollte, werden unter Kumlehn Prozesse digitalisiert – nicht nur, um Papier zu sparen. „Das Thema Nachhaltigkeit wird zukünftig eine dominantere Rolle spielen“, erklärt der neue Geschäftsführer. Das Hotel bekommt eine Photovoltaikanlage aufs Dach und ein Blockheizkraftwerk in den Keller, außerdem wird langfristig auf Wärmepumpen umgestellt. Auch in den Kaufhäusern soll Nachhaltigkeit gelebt werden – hier wird auf langfristige Sicht nachhaltige Mode im Fokus stehen. Er denke sogar über Expansion im Einzelhandel nach, lässt er sich noch entlocken. Da liege trotz Onlinehandel durchaus noch Potenzial für Wachstum.

Eröffnung der Hotelerweiterung zur Landesgartenschau

Aktuell sei jedoch die Hotelerweiterung, die ursprünglich für Februar dieses Jahres geplant war, der Dreh- und Angelpunkt. Das Wetter hat in den vergangenen Wintermonaten nicht mitgespielt. Zu kalt, zu feucht – und wenn ein Gewerk nicht anfangen kann, kann das nächste nicht weitermachen. Und so ist im Frühjahr bislang nur ein fortschreitender Rohbau zu sehen, samt zukünftiger Balkone mit wundervoller Aussicht, aber noch ohne Begrenzung. Zu Eröffnung der Landesgartenschau in Höxter Mitte April sollen bereits einige der 35 Zimmer fertig sein. Es wird eine größere Suite geben, und zwei Zimmer werden mit einer eigenen Sauna ausgestattet sein. „Ich bin sehr optimistisch, dass wir das schaffen“, sagt Kumlehn.
Zwar liegt Holzminden fern jeder Autobahn und ein wenig verschlafen mitten im Weserbergland, zahlreiche Touristen lockt dieses Städtchen dennoch an – Radfahrer, sobald die Temperaturen steigen, ebenso wie die Besucherströme zum Internationalen Straßentheater-Festival am Pfingstwochenende im Mai. Und im kommenden Jahr wird vis-à-vis – und wie fast alles in Holzminden fußläufig zu erreichen – mit dem Duftmuseum Sensoria noch eine weitere Attraktion in der Stadt eröffnen.

Es scheint im Übrigen so, als könne Matthias Kumlehn sehr gut neben seinem Vorgänger bestehen. Auch, wenn er es anders macht. Er versucht nicht, dem Holzmindener Weltbürger Schwager nachzueifern. Er ist nicht der stadtpolitisch streitbare Mensch, nicht der, ­dessen Name das Stadtgeschehen prägen wird, wie es bei Schwager der Fall war. Doch die von Letzterem initiierten Projekte werden auch unter Kumlehn weiterlaufen, wie die alljährlich gesponserte Natur-Eisbahn auf dem Weihnachtsmarkt.
„Ich führe wahrscheinlich sachlicher, ein bisschen mehr nach Zahlen und nicht so emotional wie er“, sagt der zweifache Familienvater, dem auch hier wieder anzumerken ist, wie nah es ihm geht, dass sein Mentor das 100-jährige Jubiläum nicht mehr erleben kann, welches ,sein‘ Kaufhaus in diesem Jahr begeht. Gefeiert wird ­dennoch gebührend. Denn: 100 Jahre sind nun mal 100 Jahre. „Wir haben übers Jahr verteilt mehrere Aktio­nen geplant und werden mit einer Baumpflanzaktion zur Eröffnung des Hotels starten“, erzählt Kumlehn, noch bevor wir uns verabschieden. Auch dieser Tag wird ein emotionaler werden – für alle Anwesenden. Aber es geht darum, nach vorne zu blicken. „Immer voran, egal, was passiert.“ƒ

Ralf Schwager (1941-2022)

Mehr über Ralf Schwager lesen Sie in unserem Artikel aus dem Winter-faktor 2019 unter: Weltbürger von der Weser >>

Fotos: Alciro Theodoro da Silva
Zur Person Matthias Kumlehn ist seit Mai 2022 neuer Geschäftsführer der Schwager GmbH & Co. KG. mit Kaufhäusern in sechs Städten und dem Weserhotel in Holzminden. Damit übernimmt er als CEO die Nachfolge von Ralf Schwager, der im vergangenen Jahr starb. 
Der 55-jährige Kumlehn ist seit 30 Jahren bei ‚Schwager‘ und als gebürtiger Holzmindener mit dem Stadtgeschehen und dem Unternehmen bestens vertraut. In seinem Privatleben verreist der zweifache Familienvater gern mit seiner Familie in südliche Gefilde.
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