Neue Duftmarke setzen

In Holzminden entsteht gerade ein neues Leuchtturmprojekt: die Duft- und Erlebniswelt Sensoria. Gründungsleiterin Ursula Dworák will dem Museum Leben einhauchen und dabei die ganze Stadt mitnehmen.

Was steckt hinter Sensoria?
Das Haus der Düfte und Aromen Holzminden, Sensoria, ist ein Projekt der Stadt Holzminden, gefördert aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, des Landes Niedersachsen und des Bundes. Seit März wird das Sensoria zudem von einem Förderverein unterstützt. Nach der geplanten Fertigstellung in 2024 wird es rund 850 Quadratmeter Fläche für Ausstellungen und Veranstaltungen bieten.
www.sensoria-holzminden.de
www.foerderkreis-sensoria.de

Die Dämmerung hüllt Holzminden in ein blaues Licht. Wenige Schritte über die alte Weserbrücke in Richtung Fußgängerzone fällt der Blick rechter Hand auf eine eingezäunte Baustelle. Niedrige Mauern eines ­Rohbaus erheben sich aus der Dunkelheit. Bis das neue Haus der Düfte und Aromen der Stadt Holzminden, Sensoria, erste Gäste empfängt, dauert es vermutlich noch ein Jahr. Die Kosten von ungefähr neun Millionen Euro sorgten für hitzige Debatten vor Ort. Was erwartet die Gäste? Was sind die ­Hoffnungen? faktor hat bei der Gründungsleiterin Ursula Dwořák nachgefragt. Unter dem Dach des Stadtmarketings Holzminden entwickelt die In­haberin des Stuttgarter Büros MuseoConsult das Leuchtturmprojekt. Sie verantwortete schon die Machbarkeitsstudie von 2018, begleitet seither die Planungen und betreut die Erlebniswelt für die erste Zeit der Eröffnung.

Ursula Dwořák

Frau Dwořák, was fasziniert Sie persönlich an Düften und Aromen?
Ich würde mich als normalen Konsumenten bezeichnen. ­Sicherlich mit einer Vorliebe für schöne Düfte – ohne Frage. Und für Dinge, die angenehm schmecken. Durch die Arbeit mit dem Thema bekommt man aber ein ganz anderes ­Bewusstsein. Ich würde behaupten, dass ich dadurch einen differenzierten Geruchssinn bekommen habe. Weniger vom Können – ich nehme Gerüche aber anders wahr.

Weil es so alltäglich ist, denkt man vermutlich wenig über Düfte und Aromen nach …
Es interessiert einen im Allgemeinen nicht, warum der Kaugummi nach einer halben Stunde so schmeckt, wie er vorher geschmeckt hat. Aber, wenn man weiß, warum, denkt man: Wow, das ist spannend!

Und das wollen Sie mit dem neuen Haus schaffen?
Das ist der Ansatz von Sensoria. Dass es auf so eine schöne Art und Weise die Vergangenheit, die Patentierung des Vanillins in Holzminden 1874, mit einem Gegenwartsbezug verbindet – unserem Alltag. Wir gehen im Sensoria durch den Tag und zeigen, was wir alles an Düften und Aromen an uns heranlassen. Das ist das große Potenzial eines solchen Hauses, weil jeder damit etwas anfangen kann. Jeder hat mit diesen Produkten zu tun.

Was erwartet die Besucher im Sensoria?
Wir beginnen mit den Fragen: Was passiert, wenn ich etwas rieche? Was macht das mit mir, was empfinde ich dabei? Was passiert wissenschaftlich auf der Molekular­ebene? Dann gehen wir über zu dem Thema Vanille, ­Vanillin. 2024 jährt sich die Entdeckung dieses synthetischen Herstellungsverfahrens in Holzminden zum 150. Mal. Wir leiten über und sagen: Was passierte ab dem 20. Jahrhundert? Und schließen mit dem Thema Alltag ab. Wir beginnen im Badezimmer, gehen zum Frühstück weiter. Wie ist das, wenn wir uns mittags einen Snack holen? Und wie nachmittags, wenn wir beim Einkaufen sind? Und uns beim Abendessen darüber unterhalten, wie man einen veganen Burger herstellt, der so aussieht und schmecken kann wie Fleisch. Das macht dieses Haus breit in seiner Vielfalt, aber auch tief in seiner Informationsdichte, weil ich ja zu allem, was ich benutze, Informationen bekomme.

©Sensoria

Es gibt dazu auch Experimentierstationen?
Überall. Spätestens, wenn ich ein Produkt nehme, den Scanner draufhalte und mir Informationen über dieses Thema vermittelt werden. Wir haben zudem im Ober­geschoss einen Veranstaltungsraum, in dem als Ausstellungsstück eine sogenannte Duftorgel inszeniert ist. Dort kann man als Besucher – von einem virtuellen Parfümeur angeleitet – sein eigenes Parfum kreieren.

Nicht jeder ist ein Freund von künstlichen Aromen. Gibt es Raum für eine kritische Auseinandersetzung?
An ganz vielen Stellen und insbesondere beim Alltags­thema. Allein schon der Konsum wird kritisch hinterfragt. Man muss wissen: Je länger etwas haltbar ist, desto stärker sind die Aromatisierung und die Geschmacks­verstärker.

Wie würden Sie die Botschaft und das Besondere von Sensoria zusammenfassen?
Das Haus der Düfte und Aromen ist erst mal an einen persönlich gerichtet: Erleb deine Sinne und schau, was es mit dir macht. Das ist ein sehr individuelles und auch gar nicht unter einer Überschrift zu fassendes Erlebnis. Es gibt kein vergleichbares Haus, in ganz Europa nicht, das dieses ­Thema auf diese Art und Weise vermittelt, das einen so ­abholt in seinem Leben.

Wen möchten Sie als Zielgruppe erreichen?
Sensoria ist von der Förderung her ein touristisches Infra­strukturprojekt. Der Weser-Radweg gehört zu den beliebtesten Radwegen Deutschlands, 250.0000 Menschen radeln dort jedes Jahr entlang. Wir wollen diesen Ort aber nicht als reines Ausstellungshaus verstehen, sondern zum Treffpunkt einer vielfältigen Industrie machen, neben heimischen Einrichtungen und Vereinen. Wir wollen Verbänden und Unternehmen mit dem Haus die Möglichkeit zum Austausch geben. Und Sensoria ein festes zweites Standbein verschaffen.

Wie stark ist der regionale Fokus?
Wir werden nicht die gesamte Stadtgeschichte Holzmindens erzählen. Es gibt einen Bereich bei dem Thema ­Vanillin, wo es um die Entwicklung der beiden großen ­Firmen Haarmann & Reimer und Dragoco geht, die später zu Symrise werden.

Welche Rolle spielt Symrise, das bis heute Düfte und Aromen produziert?
Mit Symrise arbeiten wir sehr eng zusammen, weil wir deren Expertise in allen Bereichen nutzen. Die Kontakte reichen von den Entwicklern, der Produktion bis hin zum Marketing. Symrise unterstützt dieses Projekt zu 100 Prozent. Gleichwohl sind sie kein Geldgeber im klassischen Sinne. Es war von Anfang an klar, dass die Stadt Holzminden dieses Projekt machen will und sich als Hauptverantwortliche sieht.

Das Sensoria soll auch architektonisch ungewöhnlich sein. Wie sieht der Entwurf des Büros Anderhalten Architekten Berlin aus?
Das Besondere ist sicherlich, dass das Haus in Holzminden ein städtebauliches Zeichen setzen wird, weil es nichts Vergleichbares gibt. Das Sensoria liegt zentral am Ende oder Anfang – je nachdem, von wo man kommt – der Fußgängerzone. Die Architekten haben mit dem Gebäude Stadttore zitiert. Die Fassade wird, ein bisschen wie bei der Elbphilharmonie, einen markanten Charakter bekommen. Diese zitiert rechteckige Sollingsandsteine, mit denen in Holzminden viele Fassaden verkleidet sind. Die Architekten nehmen aber keine Steinfassade, sondern Stahlelemen­te, die zum Teil gebogen sind, sodass man je nach Lichteinfall eine sehr unterschiedliche Fassadenstruktur erhält. Nachts wird sie hinterleuchtet sein, sehr dezent, sodass das Gebäude ein sehr schöner Leuchtkörper sein wird. Richtig klasse wird der Dachgarten, wo man im Sommer sitzen und über die Weser schauen kann.

Können Sie sich im Geiste vorstellen, wie es sein wird, wenn man das Haus betritt?
Man kommt in ein sehr luftig-leichtes gläsernes Foyer. Da gibt es nicht nur klassisches Ticketing und einen kleinen Shop, dort ist auch die Stadtinformation untergebracht. Wenn ich dann in den langgezogenen Ausstellungsraum hineinkomme, ist der nur durch die einzelnen Ausstellungsthemen unterteilt. Abschnittsweise habe ich immer eine völlig neue Aura um mich herum. Ich laufe sanft bergauf, mache eine 180-Grad-Drehung in die ent­gegengesetzte Richtung und überwinde auf diese Weise ein Stockwerk. Das wird ein sehr spannender Ort sein.

Wann planen Sie 2024 die Eröffnung?
Ich möchte mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Es heißt Anfang des Jahres. Ich hoffe, dass wir im Februar schon im  Eröffnungsmonat sind. Das ist schwer abzuschätzen, solange der Rohbau nicht steht.

In den sozialen Medien finden sich viele kritische Kommentare zum Sensoria, das Projekt koste zu viel Geld. Was halten Sie Kritikern entgegen?
Man muss zwei Dinge trennen. Zum einen die Inves­titionskosten. Die Machbarkeitsstudie war Ende 2018 fertig, wurde Anfang 2019 präsentiert. Anfang 2020 gab es die Zusage der Fördermittel. Dann kam Corona. Wir hatten ­ursprünglich eine 60-prozentige Förderung. Das sind jetzt keine 60 Prozent mehr, das ist doch klar. Corona, der Krieg in der Ukraine, das sind Dinge, die konnte keiner vorher­sagen. Der andere Punkt sind die Folgekosten, sprich die Betriebskosten. Das war auch in der Machbarkeitsstudie zu lesen, Sensoria ist kein Selbstläufer und kann den ­Betrieb nicht aus den eigenen Eintritten finanzieren. Aber so ein Konzept tut einer Stadt insgesamt gut. Das muss man als Investition in die Zukunft sehen, als Umweg­rentabi­lität.

Was ist damit gemeint?
Ich nehme immer gern Stralsund als Beispiel, weil ich die Stadt gut kenne. Bevor es das Meeresmuseum Ozeaneum dort gab, war diese fantastische, wunderbare, schöne Hansestadt dem Verfall hingegeben. Heute hat diese Stadt keine Sommer- und Wintersaison mehr, so ausgeglichen hat sich die Besucherfrequenz – nur durch eine Attraktion. Woran sich der Einzelhandel, die Gastro­nomie, die Beherbergungsbetriebe anschließen konnten. Wir müssen das zweite Standbein von Sensoria gut ent­wickeln, den Veranstaltungsbetrieb neben dem Ausstellungsbetrieb, sodass immer der Bär steppt. Dann wird das Sensoria auch akzeptiert.

Wie sind Sie als Gründungsleitung in Holzminden persönlich angekommen?
Jetzt habe ich eine sehr schöne Wohnung direkt neben der Baustelle. Ich höre sozusagen jeden Morgen um 7 Uhr, wenn es losgeht. Das Projekt ist ein Herzensprojekt von mir. Und wenn das Sensoria eröffnet ist und ich weiß, ich kann es guten Händen übergeben, dann mache ich ­wieder etwas anderes.

Dafür viel Erfolg und vielen Dank für das Gespräch, Frau Dwořák.

Foto: Alciro Theodoro da Silva
Rendering: © Sensoria
Ein kleiner Vorgeschmack?
Wer schon einen Vorgeschmack haben möchte, kann diesen beispielsweise beim Tag der Düfte und Aromen am 4. Juni 2023 bekommen. Zudem wird das Sensoria auf der ­nahe gelegenen Landesgartenschau in Höxter und Corvey mit einer Fläche präsent sein.
Weitere Angebote wie Duft- und Aroma-Seminare unter: www.stadtmarketing-holzminden.de
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