Krawall in Volpriehausen

» Nachhaltiger geht es eigentlich nicht. Das sage ich aus vollster Überzeugung: Diese Möbelstücke haben keinen Wertverlust«.

Die beiden Krankenpfleger Marius Jacobi (l.) und Sascha Heise haben mit ‚Riøt Furniture‘ einen Traum verwirklicht. Gemeinsam restaurieren sie Interior-Design-Möbelklassiker und Einrichtungsgegenstände aus den 1950er- bis 1970er-Jahren und verkaufen sie in die ganze Welt. Dabei steht für die Gründer nicht Gewinnoptimierung im Vordergrund – und doch schreiben sie ihre persönliche Erfolgsgeschichte: ,Aus einer alten Munitionsfabrik in die Fifth Avenue‘.

Eine holprige Seitenstraße am Orts­eingang von Volpriehausen führt direkt zu einem alten Fabrikgebäude. Wer sich hierher verirrt, der weiß, welcher Geheimtipp sich hinter den Mauern aus roten Backsteinen verbirgt. Allein das große neue Banner ‚Riøt Furniture‘ an der Fassade lässt erahnen, dass dies zwar eine stillgelegte Fabrik, aber eben kein verwaistes Gebäude ist. Industrial Style trifft hier auf ‚Unique Interior Design‘ – also Designklassiker aus Dänemark und liebevoll restaurierte Möbel von Bauhaus, kultigen Ikea-Design-Fundstücken und ganz vielem dazwischen. Mit Riøt haben sich die beiden Gründer Sascha Heise und Marius Jacobi vor fünf Jahren einen Traum erfüllt. Und sie leben ihn bis heute. Das spüren wir sofort, als uns die beiden mit einer herzlichen Offenheit in ihrem Showroom in der zweiten Etage willkommen heißen. Sie sind keine Geschäftsführer im klassischen Sinne, sondern verkörpern eine frische Start-up-­Mentalität – das Du ist hier obligatorisch. „Hey, ich bin der Sascha. Das ist Marius“, begrüßt der 43-jährige Sascha uns mit freudigem Lächeln.

Seit zwei Jahren gibt es den Showroom. Kalt ist es hier. Die Backsteinwände, die hohen Decken – es dauert, bis die Wärme des Frühlings sich in den Räumen ausbreitet. Alles ist weitläufig und stilvoll arrangiert. Raumeinnehmende Sofaecken aus den Siebzigern, davor ein passender Tisch, auf dem eine Kerze in einem mit Riøt gebrandeten Glas flackert. Stühle präsentieren sich in hohen Regalen, eine dänische Frisierkommode steht neben einem minimalistischen Schreibtisch aus Stahlrohr. Unvergängliche Glasfasersessel, Bilder und sparsam, doch liebevoll aufgestellte Deko.

Sascha Heise

„Wir wollten mit dem Showroom unsere Möbel angemessen würdigen – und sie einfach schön für unsere Kunden in Szene setzen“, erklärt Marius. Wahrscheinlich machen sie es auch ein Stück weit für sich selbst. Denn klassische Laufkundschaft erwarten sie in ihren Räumen nicht so oft, wenn sie samstags für vier Stunden geöffnet haben. Ihren Umsatz machen sie überwiegend mit Onlineverkäufen auf ausgewählten Plattformen, mittlerweile ein Drittel sogar weltweit. Frankreich, Italien, Spanien, Taiwan. „Vor einigen Monaten haben wir sogar einen Teil nach New York in die Fifth Avenue verschifft“, erzählt Sascha mit sichtlichem Stolz und berichtet mit leuchtenden Augen davon, dass ab sofort eine Cocoon-Deckenleuchte von Riøt bei einem ­erfolgreichen, italienischen Designer in einer der teuersten Straßen der Welt steht. Und damit, dass ,sie‘ dort einmal stehen würden, hatten Sascha und Marius wirklich nicht gerechnet. Denn eigentlich kaufen sie doch ‚nur‘ alte Möbel auf, geben ihnen ihren alten Charme zurück und stellen sie dann wieder zum Verkauf – und das auch nur in ihrer Freizeit. Hauptberuflich arbeiten beide als Krankenpfleger im Asklepios-Krankenhaus Tiefenbrunn und kümmern sich um psychisch erkrankte Jugendliche. Ein Job, der sie auf ganz andere Art und Weise erfüllt.

Marius Jacobi

Aus Kollegen werden Geschäftspartner – und gute Freunde

Doch wie kam es dann zu Riøt Furniture? Vor rund 20 Jahren entwickelt Sascha neben seinem Job als Krankenpfleger eine Leidenschaft für Möbel der 1970er-­Jahre. Er fängt an, hier und da etwas zu kaufen oder vom Sperrmüll am Straßenrand mit nach Hause zu nehmen, bis die Wohnung von ihm und seiner Frau quietschig bunt ist – und voll. Er sammelt dennoch weiter, restau­riert und entwickelt ein Gespür für gutes Design, für Qualität und dafür, wie ein Raum zu einem Wohlfühlraum wird. Alte Keller, Dachböden, Haushaltsauflösungen und Antiquitätenhändler – nichts ist vor ihm sicher, bis es eines Tages zu Hause doch zu eng wird. Das Fabrik­gebäude in Volpriehausen, das sein Onkel zunächst für seine Feinmechanikerwerkstatt gekauft hatte, bietet glücklicherweise genug Platz. Sascha Heise verlagert seine Sammlung, nutzt die neu gewonnenen Räumlichkeiten und beginnt, hin und wieder auch einzelne Stücke an Freunde und Bekannte abzugeben. „Es war ein absoluter Glücksfall, dass ich dann vor acht Jahren Marius als Kollegen auf der Arbeit kennenlernte. Wir haben uns sofort gut verstanden, und so habe ich ihn gefragt, ob er nicht ebenfalls Lust auf alte Möbel und Restauration hätte“, sagt Sascha und grinst. „Er hatte.“ Marius steigt mit ein. Auch er lernt, Möbel aufzuarbeiten, beschäftigt sich mit Buchhaltung und beginnt die fertigen Werke zu fotografieren. „Angefangen haben wir damit, unsere Möbel online zu präsentieren und mit dem Handy im Treppenhaus abzulichten“, erzählt der 33-Jährige, „weil das damals hier die schönste Ecke war.“ Von diesen improvisierten Laienfotos ist heute auf Instagram und ihrer stylischen Website jedoch nichts mehr zu sehen. Inzwischen fotografiert Marius die Stücke höchst professionell in einer eigens dafür eingerichteten Studio­ecke mit entsprechender Beleuchtung. Hier werden die Möbel in Szene gesetzt und für den Verkauf dokumentiert – mit jeder charmanten Macke.

Denn jedes Stück, Das heute in der Fabrikhalle in Volpriehausen steht, hat eine eigene Geschichte zu erzählen: von vielen Jahrzehnten – jeder Kratzer ein gelebtes Leben. „Wir lieben Möbel, die nicht zu Tode restauriert sind, sondern noch ihre Kanten und Ecken haben“, erklärt Sascha. „Es ist gerade die bestimmte Haptik und Form der alten Stücke, die einem Raum erst Atmosphäre und Flair verleihen“, ergänzt Marius, dessen Lieblingsplatz die Werkstatt ist. „Nachhaltiger geht es eigentlich nicht. Das sage ich aus vollster Überzeugung: Diese ­Möbelstücke haben keinen Wertverlust.“ Er kaufe gern Sachen, die er einfach schön finde, obwohl er wisse, dass noch einiges an Zeit reingesteckt werden müsse – und es sich nicht immer rentiere. „Aber wer anders außer mir würde sich diese Arbeit machen?“ Gewinnoptimierung stehe nicht im Vordergrund.
Dabei war es Marius, der vor fünf Jahren dazu drängte, aus dem Hobby ein richtiges, eingetragenes Unternehmen zu machen. Seit der Gründung – die zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt stattfand, denn kurz danach kam das Krisenjahr 2020 – verzeichnet Riøt Furniture ein langsames, aber stetiges Wachstum. Mit ihrem Gespür für moderne Design-Klassiker haben sie den Nerv der Zeit getroffen. Im vergangenen Jahr stieg der Umsatz in den sechsstelligen Bereich, von dem beide inzwischen auch leben könnten.
„Doch dann wäre da plötzlich der Druck und die Freude an unserem ,Hobby‘ vielleicht dahin“, erklärt Sascha. Es sei ihnen wichtiger, Spaß bei der Arbeit
zu haben, vor allem, wenn sie nach einem langen Tag im Krankenhaus noch weitere Stunden bis tief in
die Nacht an der Werkbank verbringen. „Das klappt natürlich nicht immer“, sagt Marius. „Aber immerhin sehr oft.“ Wenn er sich beispielsweise mal wieder ins Auto setzt und nach Dänemark fährt, auf der Suche nach neuen alten Fundstücken im skandinavischen Design. Dann bleibe er mit Vorliebe noch ein bis zwei Tage länger und genieße die kurze Auszeit zwischendurch. Genau diese Freiheit sei auch einer der Gründe, warum sie nicht planen, ihre Festanstellung aufzugeben – zumindest noch nicht.

Viele Ideen für die Zukunft

Und doch könnte es sein, dass es von Sascha und Marius in naher Zukunft mehr zu sehen gibt als einen Showroom in Volpriehausen – zum Beispiel komplett von Riøt Furniture gestaltete und eingerichtete Büroräume für Unternehmen oder Arztpraxen in der Region. Auch könnten demnächst ganze Riøt-Ferienapartments im Harz zu mieten sein, oder vielleicht eröffnet in der Göttinger Innenstadt bald ein neues Ladengeschäft?
Wilde Ideen dieser Art spuken bereits zahlreich in den Köpfen der beiden Gründer herum und warten nur darauf, freigelassen zu werden. Nicht ohne Grund haben sie sich den Namen Riøt gegeben, was im Dänischen eine ähnliche Bedeutung wie im Englischen hat: Aufstand oder Krawall – es wird wohl noch einiges passieren! ƒ

Fotos: Marco Bühl
Kontakt 
Riot Furniture
Industriestraße 3
37170 Volpriehausen
geöffnet immer samstags
von 12 bis 16 Uhr

www.riot-furniture.com
Instagram: riot_furniture
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