Das Schwarmwissen anzapfen

Seit 25 Jahren arbeiten die Messtechnikunternehmen aus Südniedersachsen im Measurement Valley erfolgreich zusammen. Damit ist der Wirtschaftsverband einer der ältesten in Deutschland – und das fast ohne Förderung. Als Verbindungsknüpferin sorgt Claudia Trepte seit 24 Jahren dafür, dass sich das auch für alle lohnt, und weiß, warum in einem Netzwerk kein Platz für Spielchen ist.

Auf die Frage, warum es nach der Gründung des Measurement Valley noch ein ganzes Jahr gedauert hat, bis sie dazugestoßen ist, muss die heutige Netzwerk-Managerin Claudia Trepte zunächst lachen. „Am Anfang war es, wie es häufig ist, wenn Unternehmen einen Interessenverband oder ein Netzwerk gründen“, erzählt sie. „Dort sitzen fast ausschließlich Geschäftsführer und andere Führungskräfte zusammen – und gehen erst einmal davon aus, dass sie das gemeinsam ,so nebenbei‘ hinbekommen.“ Doch wirklich vorwärts ginge es in einem solchen Verband nur, wenn sich jemand ausschließlich darum kümmere. „Das ist in keinem Fall ein Selbstläufer.“ Die damaligen Mitglieder des Measurement Valley – bestehend aus südniedersächsischen Messtechnikunternehmen – bemerkten dies schnell und sahen sich nach Verstärkung um. Auf das daraufhin ausgeschriebene Praktikum habe sich Trepte nach ihrem Studium der amerikanischen Literaturwissenschaft an der Uni Göttingen und einer anschließenden Weiterbildung im Eventmanagement beworben – „ohne eine Idee zu haben, was das für eine Aufgabe sein könnte“.

Die Herausforderungen am Anfang

Seitdem sind 24 Jahre vergangen – und Claudia Trepte hat sich von der Praktikantin zur Geschäftsführerin des Netzwerks mit heute 46 Mitgliedern entwickelt, dessen Fäden sie bis heute fest in der Hand hält.„Natürlich war es aufregend und vor allem in Meetings spannend“, erzählt sie von der Anfangszeit. Sie habe oft Protokoll schreiben müssen, ohne zu verstehen, worüber eigentlich geredet wird. „Oft hatte ich das Gefühl, jeden Tag 30 Leute kennenzulernen“, ergänzt die gebürtige Münsteranerin. „Mein Vorteil ist, dass ich schon immer ein gutes Personengedächtnis hatte und mich gern mit Menschen unterhalte.“ Und genau darum gehe es bei ihrem Job: „Sie müssen möglichst viele Leute in den Mitgliedsunternehmen kennen und wissen, was sie beruflich machen und bei welchen Fragen sie Antworten geben können.“ Letzten Endes sei es die Aufgabe der Unternehmen selbst, gemeinsam Probleme zu lösen – nicht die des Netzwerkmanagers. Und genau darin liege auch die Stärke des Measurement Valley, das sehr viel mehr sei als eine reine Werbegemeinschaft. „Wir haben sehr viel Expertise bei unseren Mitgliedern weit über das eigentliche Thema Messtechnik hinaus, und die Leute haben große Lust, anderen zu helfen. Jeder hilft jedem“, erklärt die 55-Jährige. Bei Fragen in die Runde, meistens per E-Mail gestellt, kämen die ersten Antworten oft in Tagesfrist zurück. „Dieses aktive Miteinander, das gemeinschaftliche Lösen von Problemen ohne Standesdünkel der größeren gegenüber den kleineren Mitgliedern ist der größte Erfolg von Measurement Valley“, sagt Trepte. Ihre Aufgabe sei lediglich, den Austausch in Gang zu bringen und am Leben zu halten. Für jeden Netzwerker, der vor dieser Aufgabe steht, hat sie zwei Tipps. Erstens sollte man viel mit Menschen reden, vor allem auch regelmäßig. „Treffen müssen nicht immer ein konkretes Ziel haben, man muss sich auch einfach mal so zusammensetzen“, sagt sie über ihr Erfolgsrezept. Online in ­Videokonferenzen gehe viel, sogar überraschend viel, aber der informelle persönliche Austausch sei nicht zu ersetzen. „Ein Spaziergang auf dem Göttinger Wall ist dafür eine tolle Gelegenheit“, sagt die Geschäftsführerin. Und fügt mit einem Augenzwinkern hinzu: „Das ist eine tolle Runde, auf der man in Ruhe miteinander ­reden kann, weil man nicht so viele Menschen wie in der Innenstadt trifft.“
Der zweite Tipp ist aus ihrer Sicht genauso wichtig. „Ich kann nur empfehlen, alle gleich zu behandeln, un­abhängig von der Größe des Unternehmens. In einem Netzwerk ist kein Platz für Spielchen. Wenn ich zu einem Termin einlade, dann alle.“ Auch in den gemeinsamen Terminen und Sitzungen sei es wichtig, alle in die Diskussion und in Entscheidungen einzubinden. „Ich habe immer Menschen bewundert, die gut moderieren können“, erzählt Trepte, „weil es wichtig ist, die Redezeit aller Beteiligten toll zu managen und gerecht zu verteilen.“

Und noch einen weiteren Erfolg von Measurement Valley benennt Claudia Trepte ganz klar: „Wir sind mit 25 Jahren eines der ältesten Netzwerke bundesweit und haben das fast ohne Förderung geschafft.“ Mit dem Anflug eines Lächelns fügt sie hinzu, dass die Agentur für Arbeit ihr Gehalt im ersten Jahr, damals vor 24 Jahren, zu 50 Prozent getragen habe. Das sei es dann mit der Förderung auch schon gewesen. „Ein Netzwerk so lange rein privatwirtschaftlich finanziert zu bekommen, ist ein toller Erfolg.“ Förderung sei ein zweischneidiges Schwert. „Grundsätzlich ist das schon ok, aber ich bin froh, dass wir nicht auf Förderung setzen. Das schafft Abhängigkeiten und eine Erwartungshaltung Dritter, die erfüllt werden muss.“ Doch natürlich bringe der Verzicht auf Förderung auch einen Nachteil: Lange sei die Arbeit eine ,One-Woman-Show‘ gewesen, während andere Netzwerke acht oder zehn Leute in der Geschäftsstelle hätten. Erst im Lauf der Zeit habe sie stundenweise Unterstützung bekommen.

Die Stärken des Measurement Valley

In einem Netzwerk müsse man auch mit Misserfolgen leben können, betont Trepte. „Mit einer Veranstaltung zur DSGVO-Einführung waren wir beispielsweise zu früh dran – wir mussten sie absagen, weil nicht genug Teilnehmer zusammenkamen“, berichtet sie. „Kurz vor dem Stichtag der Umsetzung machte sich dann Panik breit. Externe Berater oder Redner waren allerdings nicht mehr zu bekommen.“ Auch die Idee, ein Wiki als Werkzeug für Wissensmanagement aufzubauen, hat nicht funktioniert. „Im Tagesgeschäft ist das für viele der kleineren Unternehmen gar nicht machbar“, erklärt Trepte. „Mit der Erfahrung würde ich davon abraten, das in einem Netzwerk zu versuchen. Wissen verfügbar zu machen, ist wichtig, aber viel schwerer, als man denkt.“

Die Binsenweisheit, dass man hinterher immer schlauer sei, gelte auch für sie. An der Messtechnik-­Messe, die Measurement Valley im Jahr 2006 in der Lokhalle ausgerichtet habe, könne man das sehen. „Wir sind ein finanzielles Risiko eingegangen und haben es nach einem zumindest zufriedenstellenden Ergebnis dann 2008 nochmal versucht. Etablieren konnten wir eine solche Messe nicht.“ Die Resonanz war nicht groß genug. Doch das habe auch zu einer wichtigen, richtungsweisenden Entscheidung geführt. „Wir haben beschlossen, nur noch das zu machen, was wir richtig gut können“, sagt die Geschäftsführerin. „Leute auf der operativen Ebene zusammenbringen, die Arbeit im Alltag erleichtern – das sind unsere Stärken.“ Es gehe immer darum, zu fragen, was gebraucht werde und das Angebot des Netzwerks entsprechend zu gestalten. Erfolgreich sei die Workshopreihe mit Themen zur Führungskräfteentwicklung, die auch in diesem Jahr auf gute Resonanz stößt.

„Mein Job ist toll, weil er nicht monothematisch ist, sondern alle Unternehmensbereiche abdeckt“, so Trepte. „Ich habe 24 Jahre lang tolle Leute kennengelernt, und ein Ende ist da nicht in Sicht.“ Netzwerken mache nicht nur ihr, sondern auch den Mitgliedern immer noch Spaß. Sie müsse einige nur daran erinnern, dass die Lösung der meisten Probleme näher liege, als sie denken würden. „Das Schwarmwissen der Mitglieder aus der Region ist unglaublich. Man muss es nur aktiv anzapfen und zum eigenen Vorteil nutzen, passiv fällt nichts ab.“ Die positive Erfahrung, Hilfe zu bekommen, führe schlussendlich immer dazu, dass die eigene Hilfsbereitschaft steige – und die sei auch in Zukunft die große Stärke des ­Measurement Valley.

Foto: Marco Bühl
Zur Person

Claudia Trepte wurde 1968 in Münster geboren. Sie wuchs in Göttingen auf und ging in der Stadt an der Leine auch zur Schule. Im Anschluss an das Abitur am Theodor-Heuss-Gymnasium studierte sie an der Georg-August-Universität Amerikanische Literaturwissenschaften. Nach einer Weiterbildung im Eventmanagement stieg sie vor 24 Jahren als Praktikantin in das Netzwerk Measurement Valley e. V. ein. Seit April 2009 ist sie dessen Geschäftsführerin. Claudia Trepte wohnt in Göttingen in der Nähe der Schillerwiesen.
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