Wenn Dinge sich fügen

Seit Anika Riedel im vergangenen Jahr die Riedels Ketchup-Manufaktur in Bevern übernahm, fühlt sie sich endlich angekommen. Als Inhaberin eines kleinen Familienbetriebs und als Vorstand im Erzeugerverband ,Kostbares Südniedersachsen‘ verrät sie ihr Erfolgsrezept für regionale Produkte.

Jetzt sehe ich, dass alles, was in meinem Leben vorher passiert ist, einen Sinn hatte“, sagt Anika Riedel freudestrahlend, umgeben von gestapelten Holzpaletten mit hübsch sortierten Ketchup-­Flaschen und Präsentkartons. „Denn es hat mich hierhin geführt, an den richtigen Platz.“ Im April vergangenen Jahres hat die 41-Jährige die Geschäftsführung der Riedels Ketchup-Manufaktur in Bevern, einem Flecken im Landkreis Holzminden, von ihrem Vater übernommen, mitten in Corona-Zeiten. Ein bürokratischer Hürdenlauf sei es gewesen. „Der ,Laden‘ ist auch definitiv noch ausbaufähig“, erklärt sie, lächelt und blickt sich um. Bislang dient nur eine kleine Ausstellungsfläche als Ketchup-Geschäft, platziert inmitten des recht nüchternen Getränkemarkts der Familie.

Doch die Aus- und Umbaupläne müssen warten, denn das Geschäft mit dem Ketchup floriert und fordert aktuell viel Einsatz. „Seit dem Shutdown haben Webshop und der Verkauf im regionalen Einzelhandel richtig Schwung aufgenommen – unser Umsatz ist um 40 Prozent gestiegen“, erzählt Riedel. Eine positive Entwicklung, die dem kleinen Betrieb viel abverlangt. Ihr Vater Achim Riedel, der für die Produktion des Ketchups zuständig ist, kommt gerade dazu und erzählt, dass er im vergangenen Jahr insgesamt 55.000 Flaschen und Gläser abgefüllt habe – manuell. Er setzt sich zu seiner Tochter, nickt bedächtig und sagt: „Während manche in dieser Zeit weniger Arbeit hatten, ging es bei uns rund um die Uhr.“ Um Nachfrage und Versand bedienen zu können, haben sie kurzerhand den Getränkemarkt nur noch ab donnerstags geöffnet. Die Ketchup-Manufaktur ist bis dato eben noch ein originärer Familienbetrieb, in dem Zubereitung, Abfüllen, Etikettieren und Verpacken Hand­­arbeit ist – das braucht seine Zeit. Während der Vater als „Innenminister“, sagt Anika Riedel, für die Manufaktur der aktuell über 15 verschiedenen Sorten zuständig ist, kümmert sie sich als „Außenministerin“ um Vertrieb, Märkte, ­Organisation, Design und Marketing sowie um die Entwicklung von Rezep­tideen.

Sie ist gern unterwegs, lässt sich inspirieren, knüpft Netzwerke. Und so wurde sie, nachdem sie zuvor eine solche Position auch schon bei den Wirtschaftsjunioren in Holzminden innehatte, vergangenes Jahr auch beim Regio­nalen Erzeugerverband in den Vorstand gewählt. Jetzt engagiert sie dort sich für die Weiterentwicklung der Marke ‚Kostbares Südniedersachsen‘. „Wir haben ein neues Konzept erarbeitet, das die regionalen Produzenten mit den Hof- und Dorfläden noch enger miteinander vernetzen soll“, erzählt Riedel. „Und wir wollen die Sichtbarkeit der kleineren Produzenten weiter hervorheben.“ Dabei sei die Problematik der Begriffe Bio, Regionalität und Qualität durchaus ein Thema: Da habe jeder andere Vorstellungen. „Das Verbindende unserer Mitglieder ist die regionale Wertschöpfung und der gemeinsame Austausch darüber, welche Produkte oder Hersteller vor Ort wir in unsere eigenen Prozesse einbinden können.“

Für das Tomatenmark in Riedels Ketchup gibt es allerdings noch keinen deutschen Hersteller. „Deutschland ist eben kein klassisches Anbaugebiet für Tomaten“, erklärt die Geschäftsführerin. Sie beziehe es aus vertrauens­würdiger Quelle und in geprüfter Qualität aus Spanien. Aber für andere Ingredienzen ihrer Sorten habe sie selbstverständlich Zulieferer aus der Region: die Ein­becker Senfmühle, die Brauerei Allersheim, die Imkereien Schrimpf und Abendroth, Janniks Gourmet-Essig. Vom Rittergut Meinbrexen kommen die Erdbeeren für den Erdbeer-Ketchup, und die Ölmühle Solling liefert den Kokosblütenzucker, der mit einem sehr niedrigen glykämischen Wert den zuckerreduzierten Varianten Geschmack gibt. „Es gibt Menschen, die im Ketchup keinen Zucker wollen, aber ganz ohne geht es einfach nicht“, sagt Achim Riedel. Vieles haben sie schon ausprobiert und verwenden neben der exotischen Variante auch natürlichen Rohrzucker: Er sei gesünder als Invert­zucker oder Glukosesirup, die sonst in Ketchup üblich sind – außerdem ist er viel bekömmlicher.

Und damit kommen wir zum offenen Geheimnis von Riedels Ketchup: Für Rezeptur, Sensorik, Geschmack und Duft ist Achim Riedel der Profi, der beruflich
dafür ausgebildet ist. Jahrzehntelang war er als Gewürz­kontrolleur tätig und weiß genau, welche Mischung und Fermentierung beim Kochen ein optimales Ergebnis liefern. „Wir nennen es die fruchtig-frische Geschmacks­explosion“, sagt die Tochter mit einem stolzen Seitenblick auf ihren Vater. Sie weiß, dass es irgendwann eine besondere Herausforderung wird, eine Nachfolge für ihn zu finden. „Um an ihn heranzureichen, müsste ich mich definitiv sensorisch noch weiterentwickeln“, sagt Anika Riedel. „Zwar habe auch ich eine extrem feine Nase – aber leider auch das Problem, dass ich ganz stark auf Gewürze reagiere und aufpassen muss.“ Und eben diese Lebensmittelunverträglichkeiten sowie ihre damit zusammenhängende schwere Neurodermitis bereits in der Kindheit waren auch die Initialzündung für das familiäre Ketchup-Rezept. Gesund, bekömmlich, ohne Konservierungsmittel und künstliche Zusatzstoffe entwickelte Achim Riedel 1986 für seine damals sechsjährige Tochter seinen ersten eigenen Ketchup – der kurz darauf auch auf dem kleinen Weihnachtsmarkt im Ort großen Zuspruch fand. Erst 2006 begann er, den Ketchup in kleinen Läden vor Ort zu verkaufen, und blieb auch ­dabei, als er 2012 den Getränkemarkt eröffnete. Erst sechs Jahre später wagte er den Sprung, aus dem Hobby ein Unternehmen zu machen. Seine Tochter war gerade mit einem schweren Neurodermitis-Schub aus Berlin zurückgekehrt. „Für mich ein ganz klares Zeichen, dass ich mich auch beruflich umorientieren muss“, erzählt die studierte Immobilienwirtin heute.

Sie blickte damals auf ihre Erfahrungen in der Projektleitung, im Kundenservice und bei Promotion-­Aktivitäten zurück, reflektierte ihre eigene krankheitsbedingte bewusste Ernährungsweise und beschloss, ins Ketchup-­Geschäft einzusteigen. Eine Entscheidung, die sogar ihre Neurodermitis zurückgehen ließ. Seitdem ist sie beschwerdefrei. „Es ist einfach schön, mit der Familie zusammen zu leben und zu arbeiten“, sagt sie glücklich. So unterstützt ihre Stiefmutter Venee den Vater bei der sensorischen Tätigkeit und verantwortet den Laden sowie den Versand, während ihre Mutter im Kundenservice arbeitet. Um die Belieferung und die Regalpflege des regionalen Einzelhandels und der kleineren Hofläden im Umkreis kümmert sich ein Angestellter. „Dadurch stellen wir sicher, dass immer genügend Ware bereitsteht – und unsere Vertriebspartner sind zufrieden, weil sie sich nicht selbst um das Auffüllen kümmern müssen.“

Der persönliche und gute Kontakt nicht nur zu den Dorfbewohnern, sondern gerade auch zu Kunden und Lieferanten ist der Geschäftsfrau immens wichtig – all ihre Beziehungen haben bewusst familiären Charakter: ein kurzer Anruf, wie es so läuft, ob im Verkauf alles in Ordnung ist, oder einfach eine Rückmeldung einholen, wie es denn geschmeckt hat. „Persönlicher Service, gepaart mit überzeugendem Geschmack – das ist das Erfolgsrezept unserer kleinen Manufaktur. Das ist es, was mir Spaß und den Leuten Freude macht“, sagt Anika Riedel und lächelt wieder. Sie ist definitiv am richtigen Platz. ƒ

Foto: Alciro Theodoro da Silva
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