Glaubt an die Zukunft!

Der renommierte Professor für Umwelt- und Energietechnik Martin Faulstich arbeitet aktiv mit an der Energiewende hin zur Stromgesellschaft bis 2050.

Herr Professor Faulstich, Sie hielten kürzlich die Eröffnungsrede des Römischen Forums ‚Umwelt und Schöpfung – Verantwortung leben‘ im Vatikan. Welche Erfahrungen bringen Sie mit?

Ich habe in meinem Leben schon viele Vorträge gehalten, aber eine Sonderaudienz bei Papst Franziskus ist tatsächlich etwas … – once in a lifetime, das erlebt man nur einmal. Was mich als katholischer Christ durchaus erstaunt hat, war, wie die Aura des Papstes selbst auf jene Anwesenden wirkte, die keiner Kirche mehr angehören. Es waren 50 Unternehmer geladen, die teilweise eher aus grundsätzlichem Interesse kamen, und doch sind sie sehr nachdenklich wieder gegangen. Denn auch sie sahen: Jeder kann nachhaltig die Welt verbessern. Das macht eine gewisse Hoffnung.

Auf der nächsten faktor-Business-Lounge sprechen Sie darüber, wie wir bis 2050 Kohle, Gas und Co. ersetzen. Die Energiewende ist kein neues Thema. Warum ist es notwendig, immer noch und wieder darüber zu reden?

Der Sachverständigenrat der Bundesregierung legte bereits 2010/2011 ein Gutachten über 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2050 vor, also noch vor der Katastrophe von Fukushima. Doch das fand eher in Fachkreisen Beachtung. Erst nach dem Unglück in Japan rissen uns die Politiker das 700-­Seiten-­Werk regelrecht aus den Händen. Heute, einige Jahre später, tauchen wieder verstärkt Gegenstimmen auf. Sehen Sie sich nur die Widerstände gegen den Ausbau der Windkraft an oder wie die Klimaschutzziele der Bundesregierung erst einmal nach hinten geschoben werden. Daher ist es absolut wichtig, immer wieder darüber zu reden!

Aber wo sehen Sie die Ursache dafür, dass sich die Menschheit bei diesem Thema so schwerfällig bewegt, obwohl es uns alle unmittelbar betrifft?

Wir reden hier von einer Umwandlung einer bestehenden Industriegesellschaft in eine nachhaltige, neue bis 2050. Das ist ein enorm langer Zeitraum, der vorausgedacht werden muss. Solche gedanklichen Dimensionen sind neu in der Menschheitsgeschichte. Viele Politiker und Manager denken für gewöhnlich in Fünf-­Jahres-Abschnitten, und selbst beim eigenen Hausbau denken wir heute nicht unbedingt schon an 2050. Daher ist es wohl so schwierig, die Menschen dafür zu begeistern – insbesondere, weil viele die Auswirkungen selbst auch gar nicht mehr miterleben werden.

Fühlen Sie sich mit Ihrem Ansinnen so manches Mal auch auf verlorenem Posten?

Man hat mich schon häufiger als Missionar bezeichnet – und wahrscheinlich habe ich auch etwas Missionarisches an mir. Aber das muss auch so sein. Ein Credo von mir lautet: Der Strukturwandel lässt sich ohnehin nicht aufhalten, also müssen wir ihn gestalten. Ich möchte den Menschen Mut machen und ihnen sagen: Glaubt an die Zukunft! Und wenn wir jetzt auf erneuerbare Energien umsteigen, dann haben wir für Jahrzehnte, ja sogar Jahrhunderte eine kostengünstige Energieversorgung. Daher halte ich auch so viele Vorträge. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen nach jeder Veranstaltung zumindest etwas nachdenklicher nach Hause gehen und überlegen, wo sie selbst mit anpacken können.

Wo liegen Ihres Wissens nach die drängendsten Aufgaben der Gegenwart?

Zunächst ist es wichtig zu informieren. Alle reden immer von ,der‘ Energiewende. Doch was wir letztlich brauchen – ohne den Begriff überstrapazieren zu wollen –, sind eine Stromwende, eine Verkehrswende, eine Wärmewende und eine Industriewende. Denn unser Energieverbrauch geht zu rund 20 Prozent in den Strombereich, zu 30 Prozent in den Verkehrssektor und zu 50 Prozent in die Wärmeerzeugung.

Und womit fangen wir an?

Aus meiner Sicht steht die Stromwende an, denn in letzter Konsequenz werden wir eine Stromgesellschaft werden, bei der alle Sektoren schließlich auf erneuerbarem Strom basieren. Entweder, weil wir direkt auf Strom umstellen können, zum Beispiel mit Elektromobilität und Wärmepumpen. Oder über die Prozesse Power zu Gas und Power to Liquid, wo wir aus Strom über Elektrolyse und Synthese regenerative Gase und Treibstoffe erzeugen können. Das bietet zudem die Chance, Strom, Wärme, Verkehr und Industrie intelligent zu verbinden – wir sprechen da von der Sektorkopplung. Die Kehrseite der Medaille bedeutet jedoch auch – und das machen sich viele nicht bewusst –, dass 100 Prozent erneuerbare Energien heißt: keine Kohle, kein Erdöl, kein Erdgas. Dieser Ausstieg erfordert sicher ambitionierte Anstrengungen, ist aber zwingend notwendig. Zusätzlich zur Energiewende ist dringend auch eine Rohstoffwende nötig. Unsere Rohstoffe in der Erde sind begrenzt, und so sind für die Zukunft viele neue Technologien für eine Rohstoffrückgewinnung, beispielsweise aus Akkus oder Generatoren, vonnöten. Bei zahlreichen Technologiemetallen und seltenen Erden liegen wir bei den Recyclingraten weltweit noch unter 1 Prozent.

Wo setzen Sie in Ihrem persönlichen Alltag an, um ein Zeichen zu setzen?

Ich besitze seit zehn Jahren eine Bahncard 100 und mache nahezu alle Reisen mit der Bahn. Es ist natürlich auch sinnvoll, Plastiktüten zu vermeiden und Müll zu trennen. Wir dürfen uns aber nicht der Illusion hingeben, dass damit schon alles getan ist. Wenn wir unseren ökologischen Fußabdruck wirklich nachhaltig verbessern wollen, müssen wir auch ernsthaft an die großen Aufgaben heran, also an Mobilität und Wärme oder an ein umfassendes Recycling. Umsteuern im großen Stil ist da gefragt. Es gibt also viel zu tun, und jeder Einzelne kann da etwas bewirken …

Herr Faulstich, vielen Dank für das Gespräch.

Foto: Marina Cathomas
Zur Person

Professor Dr. Martin Faulstich ist Direktor des INZIN Instituts, einem Thinktank, der den notwendigen Strukturwandel von der heutigen zu einer nachhaltigen Industriegesellschaft wissenschaftlich begleitet und fördert. Im Ruhrgebiet geboren und aufgewachsen, hat er den Strukturwandel dort aus nächster Nähe miterlebt.Seit 2013 ist Faulstich Inhaber des Lehrstuhls für Umwelt- und Energietechnik an der Technischen Universität Clausthal. Er verfügt über langjährige Erfahrungen in der Neuausrichtung und Gründung wirtschaftlicher Forschungszentren. Dazu gehören u. a. die Umstrukturierung einer 
traditionsreichen Einrichtung der Stahlforschung sowie die Gründung des Wissenschaftszentrums in Straubing. Als Vorsitzender des Sachverständigenrates der Bundes­regierung in Berlin hat Faulstich von 2008 bis 2016 maßgebliche Impulse zur Entscheidungsfindung für die Energie- und Rohstoffwende gegeben.

www.inzin.de/prof-dr-martin-faulstich
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