Mit Energie handeln

Statt Langfristverträge mit Energieversorgern zu schließen, haben Unternehmen auch die Möglichkeit, Strom zu tagesaktuellen Preisen an der Börse einzukaufen. Je nach Betrieb und Produktionsart lässt sich damit viel Geld sparen. faktor zeigt auf, für wen sich der Wechsel lohnt.

Das Wichtigste auf einen Blick

Unternehmen beziehen ihre Energie meistens über Langfristverträge mit mehreren Jahren Laufzeit. Das schafft Preisdeckelung und Berechenbarkeit.
Die extrem gestiegenen Preise seit 2022 machen aber langfristige Bindungen sowohl für Energie­versorger als auch Verbraucher unberechenbar. Daher wird es für Unternehmen zunehmend attraktiv, sich über Verträge mit kurzer Laufzeit zu den tagesaktuellen Preisen an der Börse zu versorgen: Die dadurch schwankenden monatlichen Stromrechnungen haben meistens auch einen Preisvorteil. Die Art des Energiebezugs ist aber nur ein Teil dessen, was Unternehmen tun können.
Das Stichwort heißt Energieversorgungsstrategie und umfasst auch Prozessveränderungen und Investitionen im Unternehmen selbst. Dies wird schnell sehr komplex – spezialisierte Energie­makler können dabei wertvollen Input liefern.

Die Sanktionen gegen Russland und der Terrorangriff gegen die Nord-Stream-Pipe­lines haben die Energieversorgung zu einem brennenden Thema gemacht, die Strom- und Gaspreise sind 2022 explodiert – mit drastischen unmittelbaren Folgen für Unternehmen: Energieversorger sind in die Insolvenz gegangen, Metallhersteller haben Betriebe stillgelegt, und die Bäcker erhielten ungewollte Prominenz, als Wirtschaftsminister Robert Habeck die Äußerung tätigte, sie könnten bei zu hohen Energiepreisen ja einfach für ein paar Monate ihre Produktion stilllegen und dann weiterproduzieren – das sei schließlich keine Insolvenz.

Zwischen außenpolitischem Hazardspiel, wirt­schaftspolitischer Unbedarftheit und einem überschießenden Energiemarkt mussten und müssen Unternehmer Wege finden, die konkreten monatlichen Stromrechnungen zu erwirtschaften. „Diese Gemengelage hat dazu geführt, dass das Thema Energiekosten in Unternehmen plötzlich zu einem Top-Thema wurde“, berichtet Christian Buhr von seinen Beobachtungen der vergangenen Monate. Buhr ist Strom-Broker oder Energiemakler, wie er es nennt – er berät große Industrieunternehmen sowie Privatleute zu ihren Strom- und Gasverträgen. „In der Vergangenheit haben Strom und Gas für viele Unternehmen vielleicht ein bis zwei Prozent der Gesamtkosten ausgemacht, das Thema lief eher so nebenher“, so der Experte. „Jetzt sind die Kosten auf bis zu 20 Prozent gestiegen und haben damit eine Brisanz bekommen, die das Thema Energie in der Prioritätenliste ganz nach oben befördert.“
So geschehen bei Thorsten Hickmann, Geschäftsführer der Eisenhuth GmbH aus Osterode, eines Herstellers von Komponenten für Brennstoffzellen. „Wir wollten im April 2022 unsere Lieferverträge für Energie erneuern. Aufgrund der stark gestiegenen Preise und zusätzlicher Aufschläge für Langzeitverträge haben wir dann aber gesagt, dass wir uns lieber zu den tages­aktuellen Kursen an der Strombörse eindecken.“ Dazu werden meist kurzfristigere Verträge mit einem Energieversorger geschlossen, der dann in diesem Zeitraum den Strom an der Börse, am sogenannten Spotmarkt, beschafft und nur die tagesaktuellen Preise abrechnet. Die können naturgemäß stark schwanken und daher zu Energiekosten führen, die von Monat zu Monat deutlich anders aussehen.
„Wir haben dabei allerdings schlechte Erfahrungen mit einem Energieversorger gemacht und uns daher auf Empfehlungen aus dem Kollegenkreis an einen Energiemakler gewendet“, erzählt Hickmann. So kamen er und Buhr zusammen. „Es wird jetzt etwas preiswerter werden“, so der Geschäftsführer. „Ich gehe davon aus, dass wir das für eine gewisse Zeit so weitermachen werden, bis sich der Markt wieder etwas beruhigt hat. Aber tendenziell will ich eigentlich wieder einen Vertrag über eine längere Laufzeit haben und mich nicht mehr darum kümmern müssen.“ Ergänzend kommen bei Eisenhuth Anstrengungen hinzu, den Energiebedarf zu reduzieren.

Kleinen und mittelständischen Unternehmen fehlt die Expertise

Eines der Probleme in der aktuellen Situation: Vielen kleineren und mittleren Unternehmen fehlt in der Regel die Expertise für die Komplexität einer Energiemanagementstrategie, also dafür, die Energieversorgung und -verbräuche zu bewerten. Den gestiegenen Beratungsbedarf hat man entsprechend auch bei der WRG Wirtschaftsförderung Region Göttingen gemerkt. Deswegen hat sie unter anderem eine Sonderseite im Internet für Unternehmen zum Thema Energiekrise eingerichtet und verweist insbesondere auf die Expertise der Energieagentur Göttingen und der Klimaschutz- und Energieagentur Niedersachsen. „Wir kommen bei der komplexen Themen- und Fragestellung leider schnell an die Grenze unserer Beratungsfähigkeit, weil man dafür Spezialisten braucht, die eine Situation im Unternehmen viel besser einschätzen können“, erklärt Marc Diederich, Geschäfts­führer der WRG.

Und noch ein anderer Schuh drückt in der Region, bei dem die Unternehmen vollends machtlos sind: „Wir haben gerade im Südharzer Raum noch das Problem, dass Unternehmen, die von fossilen Energieträgern weg und ihre Prozesse auf nachhaltigere Energie umstellen wollen, gar nicht die nötigen Voraussetzungen in der Stromnetzinfrastruktur vorfinden“, so Diederich. Harz Guss Zorge sei so ein Beispiel: Hier drücken auf der einen Seite die steigenden Kosten für CO2-Zertifikate, auf der anderen Seite die Kosten durch die Energiekrise. Das Fehlen einer zukunftsfähigen Netzinfrastruktur verhindert derzeit eine Nutzung erneuerbarer Energien im großen Stil. Daher geben sich Politiker hier derzeit quasi die Klinke in die Hand, denn das Problem lässt sich im Südharz nicht allein lösen und es betrifft noch weitere Unternehmen in der Region.
Die Frage hingegen, über welche Vertragslösung die Energie bezogen wird, ist jedoch nur ein Baustein des Energiemanagements. „Die günstigste Kilowattstunde ist immer noch die, die ich gar nicht erst verbrauche“, sagt Energiemakler Christian Buhr. Entsprechend ist ein wichtiger Teil seiner Beratungstätigkeit auch die Analyse von Unternehmensprozessen. „Ich erhalte Einsicht in die aktuellen Strom- und Gasabrechnungen sowie bei Industriekunden ab einem gewissen Verbrauch auch den Lastgang.“ Letzteres ist eine große Exceltabelle, in der die Verbrauchswerte von Strom im 15-Minuten-Takt und bei Gas im 60-Minuten-Takt aufgezeichnet werden. „Wir visualisieren das in Form einer Energiechart und schauen uns die Energieverbräuche im Jahres-, Wochen- und Tagesverlauf genau an, bevor ich Empfehlungen zum Stromkauf abgebe“, erklärt Buhr. So ergeben sich unter Umständen Vorteile daraus, PV-Anlagen zu installieren, die Heizanlage zu modernisieren oder das Beleuchtungskonzept umzustellen. „Solche Betrachtungen werden schnell komplex, weil der Stromeinkauf eben auch von den Einsparmöglichkeiten abhängt.“

Die Entscheidung über den Ernergiebezug ist hoch individuell

Die Entscheidung, ob nun der Energiebezug über den tagesaktuellen Spotmarkt oder den langfristigen Terminmarkt die beste Lösung darstellt, ist jeweils hoch individuell. Grundsätzlich lässt sich lediglich sagen, dass hier die Abwägung zwischen Preisvorteil und Berechenbarkeit die maßgebliche Rolle spielt. Allerdings gibt es auch ein paar Richtwerte, an denen man sich orientieren kann. „Wenn man mit seinen energieaufwendigen Produktionszeiten gegen den Strom schwimmt, also beispielsweise am Wochenende oder abends beziehungsweise nachts seine großen Verbräuche hat, dann ist in diesen Zeiten der Spotmarkt sehr günstig“, sagt Buhr. „So etwas ergibt sich aus einer genauen Betrachtung der Energiebilanz des Unternehmens.“ Für jene, die sich gegenwärtig mit der Frage beschäftigen, wie sie ihre Energieversorgung gestalten wollen, bieten sich letztlich zahlreiche Möglichkeiten an – auch eine Kombination aus Spot- und Terminmarkt ist ab einem bestimmten Verbrauch möglich, ebenso bieten direkte Gespräche und die AGBs der Energieversorger manchmal Schlupflöcher, um aus bestehenden Verträgen herauszukommen.

Allerdings ist die Entwicklung der Energiepreise inzwischen auch für die Experten kaum noch vorhersehbar. „2018 hatte sich der Spotmarkt deutlich nach unten entwickelt und wurde damit für Gewerbekunden attraktiver“, berichtet Buhr. „Aber seit der Corona-Krise schwanken die Preise sehr stark. Die Einschätzungs­fähigkeit, in welche Richtung sich die Preise entwickeln und wie sich internationale Ereignisse auswirken, ist gegenwärtig weitgehend verlorengegangen.“ Energieeinkauf am Markt ist damit zunehmend ein Glücksspiel geworden, und zwar für alle Beteiligten: für den Verbraucher, klar, aber auch für die Energieversorger, die ihrerseits den Strom einkaufen müssen und dabei eine passende Strategie brauchen. ƒ

Pro & Contra der Energiebeschaffung

Spotmarkt (tagesaktuelle Börsenpreise)
+    transparente Kostenstruktur pro kWh
+    im Durchschnitt der letzten Jahre Preisvorteil gegenüber dem Terminmarkt
+/–     niedrigere/höhere Preise machen sich sofort auf der Rechnung bemerkbar
–     Volatilität der Preise und damit Unberechenbarkeit; Umgewöhnung auf täglich andere Kosten

Terminmarkt (langfristige Verträge)
+     Preise sind berechenbar und nach oben gedeckelt; gibt Sicherheitsgefühl und Planbarkeit
–     Preisvorteile bei sinkenden Preisen werden nicht weitergegeben
–     langfristige vertragliche Bindung

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