Zusammen wachsen

Das Leinetaler Waldprojekt sammelt Spenden für neue Bäume in Südniedersachsen, um unser Klima zu verbessern.

„Natürlich machen auch wir uns Gedanken, wie man mit der Emissionsthematik sinnvoll umgehen kann. Wir wollten daher ein Umweltprojekt auflegen, das schwer anfechtbar ist und mit dem wir vor Ort was bewirken können.“

Der Klimawandel ist da. Die Zeit drängt, entschlossenes Handeln ist nötig. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass die Frage nach der Klimaneu­tralität und dem ökologischen Fuß­abdruck inzwischen an jedes Projekt und jedes Unternehmen gestellt wird. Das nimmt auch Steve Wery wahr, Inhaber des Auto­hauses BMW Leinetal in Northeim und Einbeck. „Natürlich machen auch wir uns Gedanken, wie man mit der Emissionsthematik sinnvoll umgehen kann“, erzählt der gebürtige Dresdener. „Wir wollten daher ein Umweltprojekt auflegen, das schwer anfechtbar ist und mit dem wir vor Ort was bewirken können.“

Im derzeitigen Technologiewandel zur emissionsfreien Mobilität habe er den Eindruck gewonnen, das Hauptaugenmerk liege aktuell in erster Linie auf der Frage, wie man den Emmisionsausstoß reduzieren kann, aber weniger darauf, wie sich die bereits in der Atmosphäre befindlichen Schadstoffe reduzieren lassen. „Das erscheint uns aber ebenso wichtig. Daher die Entscheidung, Bäume zu pflanzen und so der Atmosphäre CO2 zu entziehen.“ Auf die Idee hat ihn ein Geschäftspartner gebracht: Für jedes verkaufte Kleidungsstück versprach dieser, einen Baum zu pflanzen.

Wie ein solches Projekt regional am sinnvollsten umzusetzen ist, besprach Steve Wery mit seinem Nachbarn, dem Forstberater Haro Heintze, mit dem er zudem oft auf die Jagd geht. Wald und Natur verbinden die beiden schon lange. „Unser Projekt sollte nachhaltig sein“, erzählt Wery. „Daher war es wichtig, dass wir uns auf bewirtschaftete Wälder konzentrieren.“ Das dort geschlagene Holz wird zum Beispiel im Möbel- oder Hausbau eingesetzt, wodurch das CO2 langfristig der Atmosphäre entzogen wird. Im Gegensatz dazu ist ein Naturwald auf Dauer klimaneutral, da das in den Bäumen gebundene CO2 nach dem Tod der Bäume wieder freigesetzt wird.

Aber wen genau unterstützen? Waldbesitz in Deutschland verteilt sich im Wesentlichen auf drei Gruppen: Etwa ein Drittel der Fläche gehört den Bundesländern, etwa 20 Prozent dem Bund und den Kommunen – wie etwa der Göttinger Stadtwald oder der Mündener Wald – und über 50 Prozent der Fläche ist in Privatbesitz. Dabei können große Flächen im Besitz von Einzelpersonen sein, in der Regel gehören sie aber bäuerlichen Betrieben und inzwischen auch vielen Stadtbewohnern, die Wald geerbt haben. Außer diesen treten zudem noch sogenannte Forstgenossenschaften auf, in denen mehrere Waldbesitzer ihre Flächen gemeinsam bewirtschaften.

„Wir wollten keine Einzelpersonen unterstützen, sondern genau diese Genossenschaften“, erklärt Haro Heintze, „weil viele von ihnen am Rande des Existenzminimums wirtschaften.“ Gerade in Südniedersachsen seien 2018 durch den Sturm Friederike und die nachfolgende Borkenkäfer­katastrophe viele Fichtenbestände teils komplett vernichtet worden – niedersachsenweit geht man von rund 30.000 Hektar verlorener Fläche aus. Durch das plötz­liche hohe Angebot an Fichtenholz seien die Preise stark gefallen, und geregelte Erträge über einen langen Zeitraum von 25 bis 30 Jahren seien damit nicht mehr möglich. „Bisher gab es jedes Jahr eine bestimmte Menge Holz, die eingeschlagen werden durfte, um die nachhaltige Nutzung zu gewährleisten. So konnte man gut planen“, sagt Heintze. „Nun liegen die Flächen brach, und damit gibt es auch keine CO2-Bindung mehr. Die Genossenschaften stehen damit vor einer riesigen Aufgabe.“

Den Genossenschaften dabei zu helfen, ihre Flächen wieder aufzuforsten, hat auch einen Namen: das Leinetaler Waldprojekt. Durch die im Rahmen des Projekts gesammelten Zuwendungen werden lediglich die Pflanzen beschafft. Die Pflanzung und Einzäunung obliegt den Genossenschaften.

Anfang 2020 war es so weit: Die erste Pflanzung mit rund 7.000 Bäumen auf etwa 1,5 Hektar wurde bei der Forstgenossenschaft Elvershausen in Katlenburg-Lindau vorgenommen. Herausfordernd war der Bäumemix, denn von der bisher weit verbreiteten Fichte als Nutzholz muss man sich langsam verabschieden – es wird durch den Klimawandel schlicht zu warm für den Baum. „Der Trend geht eindeutig zum Mischwald“, erzählt Heintze. Entsprechend wurden Buche, Kirsche, Ahorn, Esskastanie, Elsbeere und Schwarznuss gepflanzt. „Baum­arten, die in der Vergangenheit forstlich keine Rolle gespielt haben, aber unter dem Gesichtspunkt des sich ändernden Klimas muss man andere Baumarten ausprobieren.“ Ob die allerdings in 50 oder 100 Jahren auch noch stehen und gedeihen, kann heute keiner sagen, selbst die Forstliche Versuchsanstalt nicht. „Aber durch die Mischung mehrerer Pflanzenarten haben wir die Gewissheit, dass einige sich durchsetzen werden,“ so der Forstberater.

Für Ende des Jahres sind weitere Pflanzungen geplant, die dieses Mal mindestens drei weiteren Genossenschaften zugutekommen werden. Und noch eine weitere Neuerung gibt es, um den Effekt der Spenden zu erhöhen. „Die Forstgenossenschaften, die von uns Pflanzen bekommen, müssen zeitgleich dieselbe Anzahl an Bäumen pflanzen“, erläutert Steve Wery. Der 43-Jährige schätzt, dass an dieser Stelle insgesamt so zwischen 20.000 und 30.000 Bäume gepflanzt werden können. „Wir warten jetzt nur noch auf das Wetter.“ Möglichst kalt und feucht, aber frostfrei sollte es sein, damit die Setzlinge – in der Regel zwei- bis dreijährige Pflanzen – nicht kaputtgehen und gut anwurzeln können; etwa 50 Zentimeter sind die Pflänzchen hoch. Zwischen 1 und 1,50 Euro kostet ein Setzling, je nach Sorte. Daher werden rund 7.000 Euro benötigt, um einen Hektar Wald pflanzen zu können. Danach kommt es auf die Pflege an, denn die Pflanzen müssen vor Verbiss durch Wildtiere geschützt und immer wieder freigeschnitten werden, damit sie nicht von der Brombeere überwuchert werden.

Werbung für sein Spendenprojekt hat der Autohaus-Inhaber direkt bei seinen Kunden und Geschäftspartnern gemacht. „Bislang gab es auch nur wenige Absagen“, erzählt Wery zufrieden. Man habe auch bewusst keinen Mindestbetrag zur Unterstützung festgelegt, jeder Euro ist willkommen. Während bei der ersten Pflanzung 13 Firmen und sechs Privatleute gespendet haben, sind es für die nächste geplante Pflanzung bereits über 30 Spender. Die Gelder gehen zu 100 Prozent in die Bäume, das Marketing übernimmt Steve Wery gemeinsam mit seiner Frau Denise – und sie machen dies aus Überzeugung.

Die beiden Wahl-Göttinger sind im Grunde Gewissens­täter mit einer ausgeprägten Beziehung zur Natur: Steve Wery züchtete eine Zeit lang Forellen, Denise ist Hobby­imkerin mit Bienenvölkern. „Durch unsere Hobbys hat bei uns ein Prozess des Umdenkens stattgefunden. Mittlerweile kaufen wir zum Beispiel vorrangig Lebensmittel aus nachhaltiger Produktion, bauen seit Neustem unser eigenes Gemüse an und sind viel draußen unterwegs“, so Denise Wery. „Und wenn man unterwegs sieht, wie unsere Wälder aussehen, dann kommt man schon ins Grübeln.“

„Ich stehe auf dem Standpunkt, dass es die Summe der vielen Kleinigkeiten ist, die eine Veränderung bewirkt“, sagt Steve Wery. Die aktuelle Klimaschutzbewegung sei wichtig und richtig. Demonstrieren allein reiche aber nicht aus. „Jeder sollte selbst im Rahmen seiner Möglichkeiten veränderungsbereit sein, damit sich was bewegt. Mit dem Leinetaler Waldprojekt wollen wir unseren kleinen Teil dazu beitragen, etwas Richtiges zu tun.“

Fotos: Alciro Theodoro da Silva
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