Die Kirsche auf der Torte

Der gebürtige Göttinger Filip Dames investiert mit ,Cherry Ventures‘ in ein Versprechen: dass ein frisch gegründetes Unternehmen irgendwann nicht nur erfolgreich, sondern das nächste große Ding sein könnte. Bei bekannten Marken wie Flixbus oder Auto1 hatten er und sein Team schon den richtigen Riecher. faktor trifft den 40-Jährigen in seinem Berliner Büro. Wir reden über Weltreisen mit dem Göttinger Knabenchor, über den Börsengang mit Zalando und die Bedeutung des Teams für den Erfolg.

„Wenn ich mir Start-ups anschaue, ist es so, dass wahrscheinlich von zehn vielleicht zwei ins Ziel kommen, fünf hören sehr früh auf, und drei werden irgendwas, aber nicht wirklich groß.“

„ Ich wollte einfach viele Sachen ausprobieren.

Die Hauptstadt trägt Grau und Graffiti, die Deutsche Bahn ist pünktlich. Ostbahnhof, Hackescher Markt. Vorbei an bemalten Garagentoren, selbst gebauten Spielplätzen und ruhenden Cafés glänzen die runden Dächer im Scheunenviertel. In einem Hinterhof setzt ein Fahrstuhl aus Glas an ein schlichtes Wohnhaus an. In pinkem Neon leuchtet es: ,Cherry Ventures‘. Die erste Begrüßung ist auf Englisch, der Kaffee kommt aus der Barista-Kaffeemaschine. Das ­Foyer ist wie eine Aula mit Kissen und langem Esstisch gestaltet. Große Fenster lassen das Licht an die noch höhere Decke des Altbaus steigen. Filip Dames kommt mit einem sanften Lächeln und einfangenden Augen aus seinem Büro, wir sind gleich beim Du. Als einer von zwei Gründern investiert er von hier aus in deutsche und europäische Startups im Moment der Frühphase. Also zu dem Zeitpunkt, wenn der Erfolg noch ein Konjunktiv ist. Der Moment, wenn eine Handvoll Geld die Rakete zünden könnte.

Es ist ruhig im Berliner Großbüro, Mitarbeitende treffen sich mit Gründerteams, sind im Homeoffice oder in London. Dort und in Skandinavien betreibt das Unternehmen weitere Außenstellen. „Wir beschränken uns auf den deutschen und europäischen Markt“, sagt Dames. Dort suchen und finden sie Start-ups, um sie groß zu machen und selbst an einem möglichen Wachstum mitzuverdienen. Der Gewinn geht über den Fonds in Teilen zurück an die Investoren von Dames‘ Unternehmen. Diese Arbeit habe durchaus etwas mit der ­Kirsche auf der Torte, dem ,Cherrypicking‘, zu tun, die seiner Firma auch ihren Namen gibt. In der deutschen Übersetzung werden die Kirschen oft durch Rosinen ersetzt, die aus dem Müsli herausgesucht werden. Gemein ist ihnen der vermeintlich süße Erfolg. Denn wer Millionen Euro investiert, schaut ganz genau hin – und wird wählerisch. Pro Jahr bewerben sich laut Dames rund 1.000 Unternehmen bei ,Cherry Ventures‘ mit der Hoffnung auf ein Investment und Unterstützung. Bei ­besonders interessanten Ideen bewerben sie sich wiederum selbst als möglicher Investor. Es folgen knallharte Analytik und hoch emotionale Bauchentscheidungen.

Ding Dong, Zalando!

Als Filip Dames nach Berlin kam, galt der Schritt noch als mutig für jemanden, der gründen will. Mit ­erstem Geld von Investoren aus dem Ebay-Umfeld wird der Göttinger zum Gründer – und scheitert. „Das erste Start-up wurde ziemlich zielstrebig gegen die Wand gefahren.“ Er lernt daraus. Heute weiß er: „Wenn ich mir Start-ups anschaue, ist es so, dass wahrscheinlich von zehn vielleicht zwei ins Ziel kommen, fünf hören sehr früh auf, und drei werden irgendwas, aber nicht wirklich groß.“ Eines davon gründen David Schneider und ­Robert Gentz – zwei Kommilitonen von Dames: ­Zalando. Er steigt mit ein, ist als Mitgründer dabei. Erlebt, wie sich Berlin mit der ,Schule‘ der
Samwer-Brüder weiterentwickelt. Mit dem Gang zur Börse nehmen Dames und andere Kollegen die Tür nach draußen. Der ganz persönliche Exit schaffte Raum für eigene Ideen. Er verbringt viel Zeit in den USA, schnuppert Silicon-­Valley-Luft und lebte und erlebte New York für ein paar Monate. „Das war so eine Phase, wo ich auch mal eine Pause brauchte. Ich war da ziemlich am Anschlag, habe viele Jahre wahnsinnig viel gearbeitet.“ 

Neben dem Bruch mit dem Druck suchte er nach Inspiration, schrieb Leute an und baute ein Netzwerk auf. „Ich habe in den Gesprächen immer gefragt: Wen kennst du noch, wen kann ich noch treffen? So habe ich viele, viele Leute kennengelernt.“ Inhalt der Gespräche waren auch hier bereits die ersten Knospen der Cherry-Idee, die ursprünglich schon während seiner Zeit bei Zalando zu wachsen begann. Diese Zeit von 2008 bis zum Börsengang 2014 beschreibt Dames heute als „wahn­sinnige Reise“. Der Versandriese war ein Leuchtturm für die Berliner Szene, andere Start-ups fragten an, baten um Tipps und Invests. „Und damit ­haben wir dann angefangen, irgendwie neben der Arbeit“, sagt Dames. Ein kleines Team traf sich abends in der Kneipe, investierte eigenes Geld – kleine Summen – in junge Start-ups. Darunter Namen wie Amorelie, Flixbus, Auto1. Filip Dames feiert im selben Jahr seinen 30. Geburtstag.

Beinahe wäre Dames Opernsänger geworden

Als Jugendlicher verbringt Filip Dames erst viel Zeit in der Göttinger St. Marienkirche, später auf der ganzen Welt. Als Sopran im Göttinger Knabenchor bereist er schon als Schüler ferne Orte und Kulturen. Freundschaften aus dieser Zeit pflegt er noch heute, auch die Familie wird mehrmals im Jahr besucht. Dames erinnert sich an die Stammkneipe an der Groner Landstraße, schöne alte Häuser und seine Göttinger Popband ,Don‘t Forget‘ als Vorband der ,Guano Apes‘ auf dem Altstadtfest. Vor dem Gesang spielte er Geige, da war er fünf Jahre alt. Auch der Stimmbruch hielt ihn nicht auf. „Ich habe dann auch mal überlegt, Opernsänger zu werden“, sagt Dames. Ein Weg, den seine Schwester tatsächlich gewählt hat. Sie hat es in Düsseldorf bis an die Deutschen Oper am Rhein geschafft. Wenn Freunde heute heiraten, darf auch Dames noch einmal singen – oder „einen raushauen“, wie er sagt. Auch die Geige hat er noch, hatte sie zuletzt aber nur selten in der Hand. „Man muss schon Zeit reinstecken, sonst verlernt man es irgendwann.“ Auch hier hält er es also mit der Hoffnung. Musik bleibt ein wichtiger Ausgleich zum knallharten Geschäft, sagt er und verbindet ihn mit seiner Heimat.

Dames hat vier Geschwister, seine Eltern waren Ärzte. Die Mutter lebt in Reinhausen, viele Freunde sieht er vor allem am 23. Dezember auf dem Göttinger Weihnachtsmarkt. Immer wieder sucht und findet er Gelegenheiten, zurückzukehren. „Ich finde, es ist eine tolle Stadt. Sie hat die perfekte Größe, um nicht auf dumme Gedanken zu kommen.“ 

Aber auch ein Ort für gute Ideen? Die Uni mache Göttingen international, findet Dames, schaffe Zugang zur Forschung. Guter Nährboden, um eine Firma zu gründen, aber eine große Startup-Szene sieht er in seiner Heimatstadt nicht. Stattdessen bündeln sich diese in den großen Städten wie Berlin und München. Dort existieren Start-ups und Investoren nahe beieinander, haben kurze Wege. Für Dames lockte Berlin vor allem nach der Wende Kreative und Künstler an, das Leben war günstig. „Dadurch hat sich heute die Start-up-Welt entwickeln können, was in einer anderen Stadt gar nicht so einfach gewesen wäre.“

Die Musik zeigt ihm die Welt

Als Schüler war er Praktikant bei Sartorius. „In der Mess- und Wägetechnik”, sagt Dames. „Das war damals einfach toll, das mal zu sehen. Ein spannendes Unternehmen, viel Innovation.” Die eigenen Karrierepläne waren zu diesem Zeitpunkt vage. Für ein Medizinstudium hat er sich beworben, ein Vorsingen bringt ihn nicht weiter. „Ich wollte immer mal etwas anderes sehen”, sagt Dames. Insbesondere Nordamerika hat es ihm angetan, dorthin reist er immer wieder und auch für längere Zeit. Ein ganzes Jahr verbrachte er in einer Highschool und in einem Internat in den USA bei Boston. Nach dem Abitur am Max-Planck-Gymnasium studiertert er an der
WHU-Business-School in Koblenz, weil ihm ein Artikel im Stern-Magazins auffiel, der die Hochschule ganz oben positionierte. Dort fand Filip Dames seinen Unternehmer-Geist, „das bekommt man dort schon mit”. Das Studium führte ihn zurück in die USA, nach Argentinien und Finnland. „Ich wollte einfach viele Sachen ausprobieren”, sagt Dames, dessen Talent früh erkannt wurde. Denn möglich war diese Ausbildung nur dank eines Stipendiums. „Ich habe ein ganz gutes Abi gemacht, war, glaube ich, damals irgendwie Jahrgangs-Bester”, sagt er und lacht. „Wir waren fünf Kinder, das hätten wir uns nicht leisten können.” Über eine Stiftung, die er gemeinsam mit seiner Ehefrau gegründet hat, will er heute jungen Talenten Chancengleichheit und Zugang zu Schulen und Talentförderung ermöglichen.

Schon mit dem Knabenchor reist er durch Europa und nach China. Sein Herz bleibt in den USA. „Ich finde es nach wie vor eine super spannende Kultur“, beschreibt Dames sein Gefühl zum Land. „Dieses Unternehmerische, man kann sich alles bauen, man kann alles erreichen. Diese Grundeinstellung und auch dieser Optimismus, der in Deutschland manchmal fehlt. Alle meckern gern, aber so wenige haben dann wirklich die Überzeugung und packen an. Das ist schon anders in den USA.“ Auch heute verbringt er wieder viel beruf­liche Zeit dort. Denn in der Start-up-Welt sitzt ein Großteil des Kapitals für spätere Finanzierung in den USA. Dort ist das Geld, dort sind die Investoren, dort sind die großen Töpfe. Etwa die Hälfte der Partner, die in den Fonds von ,Cherry Ventures‘ investieren, stammen laut Dames aus Nordamerika.

So arbeitet Cherry Ventures

Filip Dames´ Superkraft ist das Gespür für das richtige Timing. Bei allen Zahlen, Daten und Fakten bleibt es ein Engagement im Konjunktiv. Rund 40 Mitarbeitende analysieren, bewerten, kommunizieren. Und wenn die Entscheidung gefallen ist, dann unterstützen, managen und inspirieren sie. ,Cherry Ventures‘ agiert vor und nach dem Investment. Erst wird geangelt, dann wird gekocht. Ob es schmeckt, muss die Zeit zeigen. Wenn man in das Portfolio von Cherry schaut, finden sich laut ­Dames Unternehmen, die die Mission haben, europäische Problemstellungen zu lösen. Transport, Logistik und sogar Raumfahrt sind Themen. „Die wenigsten machen das vordergründig, weil sie viel Geld verdienen wollen.“ Da sei als Angestellter bei einer Bank oftmals mehr drin, glaubt Dames. Diese Firmen würden vor ­allem Zeit brauchen. Wer heute bei Cherry arbeitet, habe selbst einmal gegründet oder in einem Startup gearbeitet.

„Wir glauben daran, dass die besten Dinge entstehen, wenn man den Gründern auf Augenhöhe begegnet“, sagt Filip Dames. Cherry investiert Geld und Hoffnung dabei nicht einfach nur in Unternehmen oder Start-ups, sondern in Menschen. Genau das sei auch das Geheimnis erfolgreicher Gründungen. „Das Team ist mit Abstand das Wichtigste“, betont Dames. Ihnen schenke sein Team das Vertrauen, ihnen arbeiten sie zu. Steht ein Unternehmen mit einem guten Produkt im Markt, aber das Gründerteam überzeugt nicht, steigt Cherry nicht ein. „Wir glauben, dass die besten Teams in der Lage sind, den so­genannten Market-fit zu finden. Oder aber im richtigen Moment auch die Entscheidung treffen, es anders zu machen.“ 

Deshalb sei es seine Aufgabe, die besten Teams zu identifizieren und dann ihr Partner zu werden. Zu den wichtigsten Aufgaben eines Gründers zählt Dames die Fähigkeit, ein fähiges Team aufzubauen. Mitarbeitende zu finden, die im Zweifel auch mehr Fähigkeiten mitbringen als die Gründer selbst. „Und dann eben Menschen auch zu begeistern, dass sie sagen: Hey, da will ich arbeiten.“ Diese Gründer seien es, die es sich heute aussuchen dürfen, mit wem sie zusammenarbeiten und wen sie als Investor haben wollen. Um ein Gründerteam zu begeistern, haben Dames und sein Team schon Bewerbungspakete in die Berge geschickt. Dabei geht es lange nicht mehr ums Geld, „davon ist genug da draußen“, sagt Dames. Als Investor müsse man mehr bieten und als starker Partner mit eigener Mission überzeugen. Geht die Reise dann los, sind er und sein Team nah dran, ohne zu viel Einfluss zu nehmen. Sie zeigen mit dem Finger auf die Tankstelle, sind mit ihrem Invest der Raketentreibstoff. Fliegen aber müssen die Pioniere selbst.  „Wir sind die Investoren, nicht die Gründer.“  ƒ

Fotos: Alciro Theodoro da Silva
Venture Capital

Venture Capital (VC) ist eine Form der Finanzierung, die in der Regel von Investoren bereitgestellt wird, um Start­ups und kleine Unternehmen zu unterstützen, die ein ­hohes Wachstumspotenzial haben, aber auch ein hohes Risiko aufweisen. Im Gegenzug für ihre Investition ­erhalten die VC-Investoren in der Regel Unternehmens­anteile oder Eigenkapital. Typischerweise investieren ­Venture-Capital-Geber in Unternehmen in frühen Entwicklungsphasen wie in der Gründungsphase (Seed-Phase) oder in den frühen Wachstums­phasen
(Early-Stage). Diese Investitionen helfen den ­Unternehmen dabei, ihre Geschäfts­tätigkeit auszubauen, neue Produkte zu entwickeln, Märkte zu erschließen und ihre Betriebskapazitäten zu erweitern.

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