Visionäre unter sich
Kappa-Geschäftsführer Johannes Overhues testet für faktor den ersten Elektro-Sportwagen von Audi. Auf der rasanten Fahrt verrät der Ingenieur, was die Kameraexperten aus Gleichen mit ihrer Leidenschaft für hochtechnologische Geräte mit dem RS e-tron GT verbindet.
Zum Auto
Modell | Audi RS e-tron GT |
Motor | 2 x Elektromotor |
Leistung | 646 PS |
Hubraum | – |
Höchstgeschwindigkeit | 250 k m /h |
Beschleunigung | 3,3 sek. von 0 auf 100 km / h |
Verbrauch | 21,6 kWh / 100 km |
CO2 | – |
Preis | ab 99.800 Euro |
Wer einen Blitz beobachten will, muss weder Geduld noch Zeit mitbringen. Nur Blinzeln ist verboten, denn nach einer Zehntelsekunde ist alles vorbei. Innerhalb dieser kurzen Zeit wird enorm viel Energie in Form von Licht und Wärme freigesetzt – ein kleines Naturwunder. Kaum eine andere Kraft der Natur ist so faszinierend und furchteinflößend zugleich. Mit dem neuen RS e-tron GT, der seit Mai bei den Händlern einrollt, versucht Audi jetzt, eben diese Naturgewalt nachzuahmen. Der erste Elektro-Sportwagen aus Ingolstadt ist kraftvoll, faszinierend schnell und hat – glaubt man dem Hersteller – den Blitz im Tank. Zusammen mit Johannes Overhues, seit gut einem Jahr Geschäftsführer von Kappa Optronics in Klein Lengden in der Gemeinde Gleichen, hat faktor Audis neuesten Wurf getestet – und Interessantes beobachtet.
Bereits Seit über 40 Jahren ist Kappa Experte auf dem Gebiet der Entwicklung und Fertigung von Kameras und Vision-Systemen – ,für alles, was fährt und fliegt‘, so der Slogan. Damit ist Overhues der ideale Testfahrer für den RS e-tron GT. Und tatsächlich achtet der Ingenieur von Beginn an auf jedes Detail. Seine Erwartungen sind groß: „Trägt der Audi das Rallye-Sportabzeichen verdient oder geht dem Sportler gleich der Saft aus?“ Wer in einem Audi sitzt, hat sich für ein Wohnzimmer entschieden, das die 200 km/h locker schafft. Stehen dann noch die beiden Buchstaben R und S neben der linken Rückleuchte, sind auch die 300 km/h problemlos möglich. Bisher waren dazu sechs oder acht röhrende Zylinder und jede Menge Benzin notwendig – mehr als 400 Kilometer schafft kaum ein Audi RS mit einer Tankfüllung. Der neue RS e-tron GT jedoch will mit fast allen dieser ,Traditionen‘ brechen. Schneller, weiter und sparsamer will er sein, ohne aber auch nur einen Hauch von Emotion zu verlieren.
Im ,Audi Zentrum Göttingen‘ gibt es in der Auslieferungshalle eine kurze Einführung: vier Räder, Lenkrad, Gas und Bremse. Bis hierhin alles so, wie es jeder Autofahrer erwartet. Danach aber wird vieles neu – und fast alles anders. „Optisch ist Audi schon mal ein eleganter Sportwagen mit eigener Note gelungen“, sagt Johannes Overhues, sein Blick schweift dabei kritisch über das Neue. Der RS e-tron GT ist kein Raumschiff aus der Zukunft, trotzdem ist die hecklastige Linienführung des Coupés für die Ingolstädter Designer neu. Unter seinem Kleid versteckt der e-tron jede Menge Elektrotechnik: Motoren, Batterien und Sensoren. Es sieht zwar noch aus wie ein Auto, dabei steht – und fährt – hier eigentlich ein Supercomputer.
„Aufgeräumt und gleichzeitig modern, die Qualität ist unmissverständlich“, sagt Overhues, während er im dunklen Sportsitz Platz nimmt. Der Innenraum umarmt den 51-Jährigen und versorgt ihn über mehrere Displays statt über althergebrachte Gerätschaften mit allen Informationen. Nur die fehlende Tankanzeige erinnert daran, dass nicht acht Zylinder, sondern zwei Elektromotoren für den Antrieb sorgen. Grüne Balken im Display zeigen zehntelsekündlich – also blitzschnell – die Restreichweite an. Und hier wird es zum ersten Mal RS-untypisch, denn Audi wirbt vollgeladen mit 456 Kilometern Reichweite. Innerhalb von 20 Minuten an der Schnellladesäule sind 80 Prozent der Reichweite wiederhergestellt.
Bevor es mit dem Spitzensportler auf die Autobahn geht, testen wir die kleinen Göttinger Nebenstraßen. „Ich kenne mich hier nicht so gut aus“, sagt Overhues, dreht in einer Sackgasse – und wählt per Sprachsteuerungsknopf am Lenkrad das nächste Ziel im Navigationssystem aus. So modern wie das Antriebssystem ist auch der Rest des RS e-tron GT. Mehrere große Displays mit Touchfunktion machen den Fahrer zum Herrn der automobilen Zukunft. Trotzdem lenkt nur wenig vom eigentlichen Fahrspaß ab, auf den sich Overhues konzentriert. Dabei gelingt Audi auch mit dem Elektro-Sportler der Spagat zwischen Jogginghose und Businessschuh. Elegant lässt sich das fünf Meter lange Fahrzeug durch Göttingens Stadtverkehr steuern. Das sportliche Fahrwerk verzeiht jedes unbemerkte Schlagloch, meldet bei hohem Tempo aber sportwagentypisch jeden Bodenkontakt an den Fahrer weiter.
Doch wie es sich für ein deutsches Auto gehört, ist es für die Landstraße und die Autobahn gemacht. Das Navi wird uns am Ende zum Kappa-Hauptquartier nach Klein Lengden führen. Auf dem Weg dorthin erwarten uns – na klar – die schnellen Straßen. Overhues‘ eleganter Lederschuh testet die Beschleunigung, die A7 erlaubt an diesem Tag freie Fahrt. Der Ingenieur aus dem Schwarzwald ist sensibel und hoch konzentriert, schaut und hört und fühlt ganz genau hin. Beim dritten Anfahren unter Vollstrom bemerkt der Kappa-Geschäftsführer den zweiten Elektromotor, der sich erst bei absolutem Spitzentempo hinzuschaltet. Erst zusammen bringen sie diese enorme Leistung von 646 PS auf die Straße. Diese Spontanität, diese Elektrik, gefällt dem Manager. Kennt er sie doch von seinem eigenen Unternehmen. Als Spezialist sieht sich Kappa vor allem in der Nische zu Hause, sagt Overhues. „Dort müssen wir schnell sein und adaptieren, um die nächsten Chancen zu entdecken und aufzunehmen.“ Heißt übersetzt: Overhues und Kappa suchen stets den besonderen Moment, das Außergewöhnliche – und bieten anschließend Lösungen. Noch nie hat also ein Autotest so gut zu seinem Fahrer gepasst wie heute.
Im RS e-tron GT findet sich außer dem heutigen Fahrer kein weiteres Kappa-Zubehör wieder – und doch haben die Experten aus Gleichen in der Vergangenheit schon erfolgreich mit der VW AG, zu der auch Audi gehört, zusammengearbeitet. Vor einigen Jahren brachte VW mit dem XL1 ein Auto in kleiner Serie heraus, das nur einen Liter Treibstoff auf 100 Kilometern Strecke verbrauchen sollte. Das gelang durch zwei Kunstgriffe. Der erste waren zwei Motoren, einer davon elektrisch. Der zweite wurde mathematisch berechnet und sollte dafür sorgen, dass sich so wenig Auto wie möglich gegen den Fahrwind stellt. Die Wolfsburger Ingenieure strichen alles weg, was auch nur ein paar Zentimeter rausragte. Dazu gehörten auch die Seitenspiegel. Hier kam Kappa ins Spiel, denn die sonst bei jedem Auto typischen Ohren wurden durch kleine Kameras ersetzt. Das Bild nach hinten lieferten kleine Monitore im Innenraum. Die gesamte Technik hierzu kam von Kappa.
Der VW XL1 war ein Experiment, der Weg in ein neues Zeitalter und damit ein Projekt, das Kappa besonders gut zu Gesicht steht. Die Kappa-Kameras finden sich heute in fast allen Hypercars und Supercars – in allen Bereichen herausragende Fahrzeuge und Supersportwagen – sowie demnächst auch in vielen Rennautos. Zudem sind sie schon seit Jahrzehnten in Flugzeugen, im militärischen Bereich und in der Raumfahrt zu finden. „Also überall dort, wo eine Visualisierung stattfindet, die das menschliche Auge dazu befähigt, die richtigen Entscheidungen schnell und sicher zu treffen“, erklärt Overhues. Viele Entscheidungen muss der Geschäftsführer im RS e-tron GT nicht treffen, während die Landschaft in hohem Tempo an seinen Augen vorbeizieht. Der Elektro-Blitz liegt auch bei hoher Geschwindigkeit wie das sprichwörtliche Brett auf der Straße, zur Not unterstützen Spurhalteassistent und Notbremsassistent sofort. „Es ist die Technologie, die uns in der Firma alle motiviert – auch mich persönlich.“ Und begeistert. Mit den richtigen Fragen öffnen sich bei Johannes Overhues ganze Geschichtsbücher und Bauanleitungen von Technologien und Branchen, die heute schon das Morgen beschreiben. So hell wie die Bits und Bytes in den Simulationscomputern der Hightech-Branche leuchten dann auch die Augen des Kappa-Chefs, für einen Moment vergisst der top organisierte Spitzenmanager die Zeit und schwärmt von hochempfindlicher Messtechnik, rausch- und ruckelfreien Digitalbildern und der Magie hinter Alltagstechnik. Es sind Geschichten, bei denen links und rechts noch ein paar Drähte herausragen, die aber Zukunft bedeuten.
Overhues ist Chef eines Unternehmens, dessen Wurzeln und Basis er kennt. Als Diplomingenieur gehört er zu denen, die selbst gern basteln und ergründen. Egal ob als junger Mann am ersten Auto – natürlich ein Käfer – oder heute an präzisen Apparaten für die Hightechindustrie dieser Welt. Mit drei Fremdsprachen im Gepäck hat er eben diese schon bereist und beobachtet, unter anderem in Spanien, Frankreich und den USA, aber auch in Asien. „Wenn man sieht, wie die Welt woanders aussieht, hilft einem das bei der Betrachtung eines globalen Marktes enorm weiter“, sagt er weitsichtig. Kappa schafft diese besonderen Momente durch das eigene Tun. Auch deshalb fühlt er sich hier so wohl, sagt er. Denn Mentalität ist eine Weltsprache. Vor genau einem Jahr hat er den Posten übernommen. Davor war er Geschäftsführer einer Messtechnikfirma in Remscheid. Doch durch sein Engagement als Geschäftsleiter im Vertrieb von Mahr vor sechs Jahren ist ihm Göttingen nicht neu.
Nun baut er mit Kappa optronics unter anderem Kameras, damit Piloten ihre Flugzeuge auch in der Luft sicher tanken können. Es sind die schwierigsten und zugleich spektakulärsten Manöver der Luftfahrt, dabei braucht es absolute Präzision. „Die Piloten müssen sich auf das, was sie sehen, verlassen können. Und wir verantworten das, was sie sehen“, erklärt Overhues. Der Trick: Livebilder ganz ohne Verzögerung, hochaufgelöst und knackescharf. Das funktioniert bisher gut – doch die Zukunft wird schon in den Büros in Klein Lengden vorbereitet, aus deren Fenstern die ersten Mitarbeiter neugierig auf den Parkplatz schauen, auf den der Chef gerade mit dem E-Flitzer einbiegt. „Der nächste Schritt lässt dreidimensionale Blicke zu. So wird die Steuerung noch genauer und der Tankvorgang noch effektiver“, schwärmt der Geschäftsführer. Wie sehr ihn das fasziniert, zeigen kurz darauf Modelle und Miniaturen, Bilder und Zeichnungen dieser Flugzeuge in seinem Büro. Geschenke und Briefe von Vertriebskunden aus der ganzen Welt beweisen: Diese Faszination ist ansteckend.
Der RS e-tron GT braucht zum Tanken im Zweifel nur eine Steckdose. Vor allem hier sieht Overhues das größte Problem der Elektromobilität: die Infrastruktur. Es braucht eine schnelle Ladestation, um auch kurzfristig wieder Reichweite aufzubauen. Johannes Overhues als Pendler und Vielfahrer sucht bereits fleißig ein Zuhause in Göttingen. Noch wohnt er hier nur unter der Woche, am Wochenende zieht es ihn zu seiner Familie zurück in den Schwarzwald. Im Falle eines endgültigen Standortwechsels in Form einer eigenen Wohnung wird es mit einer privaten, festinstallierten Ladesäule schwierig. Öffentliche Lade- und Parkplätze sind immer ein paar hundert Meter entfernt. Statt in Akkus sieht der Ingenieur die Zukunft im Wasserstoff. Entweder als Energiespender einer Brennstoffzelle für Elektromotoren oder als Treibstoff für angepasste Verbrennungsmotoren. „Da erwartet uns noch vieles, was wir jetzt noch gar nicht auf dem Zettel haben.“
Und dann ist da noch ein Problem mit dem Sportwagen. Der ist zwar schnell und genügt dank Audi-Ingenieurskunst höchsten Ansprüchen, doch wenn auch der Fahrer Sportler ist – Overhues liebt das Kitesurfen – dann fehlt eindeutig Platz im Kofferraum. „Für mich muss ein Auto vor allem bequem und nützlich sein. Als Berufspendler fahre ich viele Kilometer im Jahr. Ein gutes Auto ist da wichtig“, sagt er. Doch Pragmatismus alleine sei für die Kaufentscheidung nicht immer maßgebend. Manchmal zähle auch das Außergewöhnliche vor dem absolut Nützlichen. Am Ende hat der RS e-tron GT also doch sein Herz erobert, wenngleich nicht für jeden Tag. „Da steckt sehr viel Leidenschaft drin, und das merkt man auch. Audi hat sich wirklich Gedanken gemacht“, sagt Overhues als Testfazit. „Eine wunderbar ausgewogene Abstimmung zwischen Alltagsfahrzeug und Spaßfaktor – dank hoher Beschleunigung. Leidenschaft pur.“
Fotos: Alciro Theodoro da Silva
Zur Person
Baujahr | 1970 |
Größe | 188 cm |
Geburtsort | Freiburg |
Ausbildung | Handwerkslehre, Studium Verfahrens- und Umwelttechnik (Dipl.-Ing.), u.a. in Barcelona |
Bisherige Stationen | CEO bzw. Vertriebsleiter u.a. bei GEA Group, MKS Instruments, Lumasense Technologies (jetzt Advanced Energy) und Mahr in Göttingen |
Familienstand | verheiratet, zwei Kinder |
Erstes Auto | VW Käfer |
Aktuelles Auto | Audi Q7 |