Wie riecht der Mond?

Erst seit wenigen Monaten geöffnet und schon ein großer Erfolg:
Das ,Sensoria – Haus der Düfte und Aromen‘ in Holzminden ist ein
Museum der besonderen Art. Denn dort kann die Nase auf ihre ganz
eigene Reise gehen. 

Ann-Kathrin Otte, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit

» Wir sind europaweit einmalig, vermutlich sogar weltweit. «

Holzminden und damit Südniedersachsen sind um eine sehenswerte – oder besser: riechenswerte – Attraktion reicher. Ende September 2024 eröffnete hier das Sensoria Haus der Düfte und Aromen. Das Museum setzt damit die Tradition fort, die Holzminden bekannt gemacht hat, da dort vor genau 150 Jahre das erste Mal Vanillin synthetisch hergestellt wurde. Die Stadt nennt sich nicht umsonst ,Stadt der Düfte und Aromen‘, da bis heute die Holzmindener Firma Symrise einer der weltweit großen Duft- und Aromastoffhersteller ist. Und genau diesem Thema, der riesigen Welt der Düfte und Aromen, ist das Sensoria gewidmet. Der Clou dabei: Die Ausstellung ist nicht nur gegenständlich informativ, sie bindet auch konsequent und interaktiv das Riechen der Besucher mit ein.

„Wir sind europaweit einmalig, vermutlich sogar weltweit“, sagt Ann-Kathrin Otte, die die Öffentlichkeitsarbeit des Hauses verantwortet und selbst Führungen gibt. Es gibt zwar ein Parfummuseum in Grasse und auch das Haus von ,4711‘ in Köln, „aber sich dem ­Thema in diesem Umfang zu widmen, wie wir das tun und dabei das Riechen und Schmecken konsequent einzubeziehen, fehlt in den anderen Häusern“.

Und noch einen Unterschied gibt es. Viele solcher Häuser wurden von den Unternehmen gegründet, in Holzminden hingegen ist es dem bürgerschaftlichen und städtischen Engagement zu verdanken. Die Idee zu ­einem solchen Ausstellungshaus kam direkt aus der Bürgerschaft. 2018 gab die Bürgerstiftung Holzminden ein Gutachten in Auftrag, um die Machbarkeit eines solchen Hauses zu prüfen. Die Studie fiel so positiv aus, dass sich die Stadt zur Umsetzung entschloss und damit einen weiteren touristischer Höhepunkt geschaffen hat. ­Allein über den Weser-Radweg fahren jährlich rund 150.000 Touristen von Hann. Münden nach Hameln und damit in Sichtweite am Sensoria vorbei.

Entstanden ist ein kompletter Neubau am weserseits gelegenen Innenstadteingang, der architektonisch im wahrsten Sinne des Wortes herausragt. „Wir liegen am Weser-Radweg und in der Altstadt, das sollte das Gebäude widerspiegeln“, so Otte. „Das Heraufragende der einen Gebäudeseite hin zur Weserbrücke soll eines der Torhäuser, die Verkleidung soll die Wesersandsteinplatten symbolisieren.“ Vor 150 Jahren war Holzminden ein Umschlagplatz für diese Platten, die man an vielen Häusern in der Innenstadt noch als Schindeln sehen kann. Es sind diese über 4.000 rautenförmigen Cortenstahlschindeln, von denen jede einzelne ein Unikat ist, die das Gebäude so markant machen. Der rostige Look verändert sich zudem durch Witterungseinflüsse noch weiter und lässt so das Gebäude reifen. „Wir haben schon alles Mögliche dazu gehört“, erzählt Otte, „etwa, dass die Schindeln wie Schoko­täfelchen oder wie ein Drachenpanzer aussehen.“ Über elf Millionen Euro hat das Sensoria gekostet, den Löwenanteil hat die Stadt selbst aufgebracht. 

Die 650 Quadratmeter Ausstellungsfläche sind sprichwörtlich im Fluss. Hier gibt es keine Ausstellungsräume, sondern stattdessen schlängelt sich ein breiter Gang mit einer kontinuierlichen Steigung über zwei Etagen und führt von einem Ausstellungsareal zum nächsten. Lediglich das Labor der Düfte, das gleichzeitig ein Veranstaltungsraum ist, und der daraus zugängliche Duftgarten auf dem Dach sind über eine Treppe erreichbar. 

Ob in einer 360-Grad-Videoinstallation, in der passende Düfte wie etwa der Geruch frisch gemähten Grases einströmen, oder in der ,Zeitreise‘, die aufzeigt, woher wichtige Gewürze aus der ganzen Welt stammen und man auf Knopfdruck zum Beispiel Weihrauchduft einsaugen kann – überall sind Gerüche präsent. Die Nuancen verschiedener
Vanillearten lassen sich genauso unterscheiden wie auch die Veränderung, die Persil durchlaufen hat: Drei Schnupperproben des Waschmittels von 1959, 1986 und 1994 könnten unterschiedlicher nicht sein. 

Es ist viel Kreativität in die Ausstellung eingeflossen. So haben Parfumeure Aufgabenstellungen bekommen wie etwa: Wie riecht der Mond? Die Lösung war: Der Geruch gleicht dem, den Astronauten beschrieben, als sie im ­Landemodul an ihren Anzügen rochen – nämlich wie Schießpulver. Auch viel Wissenswertes wird vermittelt, beispielsweise, wie Riechen und Schmecken im Körper funktionieren und welches Lebewesen den besten Riecher hat – es ist der Elefant mit etwa 500 Millionen Riech­zellen und 2.000 verschiedenen Rezeptoren. Zum Vergleich: Der Mensch hat 25 Millionen Riechzellen bei 400 verschiedenen Rezeptoren.

Die Düfte in der Ausstellung sind auf geruchssensible Menschen abgestimmt, das heißt, sie sind fein und nicht aufdringlich und technisch innovativ, da es sich um
Trockendüfte handelt, die sich nicht auf Oberflächen festsetzen und schnell wieder verfliegen. Dadurch verwandelt sich die Ausstellung den Tag über nicht in einen die Nase überfordernden Parfumladen.

Das größte Highlight im Sensoria ist jedoch das Labor der Düfte. Im Ausstellungsraum steht die riesige Duftorgel, ein Halbrund mit um die 300 allerdings leeren Apothekerfläschchen, die die Vielzahl der Rohstoffe symbolisieren, an der Besucher selbst kreativ werden können. Die Duftorgel ist eigentlich – in kleinerer Dimension – der Arbeitsplatz eines Parfumeurs. Dessen Rolle können Besucher an Bildschirmen einnehmen, wo sie virtuell durch den komplexen Prozess der Parfumherstellung mit ihren vielen Schritten geführt werden. Ist der eigene Duft fertig, lässt sich die Mischung als feiner Duft ausstoßen und riechen. Gefällt das Ergebnis, kann man sich im Sensoria wahlweise eine Probe oder einen ganzen Duftflakon als Souvenir zusammenstellen lassen. 

Das Sensoria ist jedoch weit mehr als nur ein Ausstellungshaus, es soll vielmehr ein lebendiger Teil der kulturellen Szene Holzmindens werden. Hier finden bereits Firmen­events, Lesungen, Vorträge, Tastings und Workshops statt – ein Blick in den Veranstaltungskalender lohnt sich ebenso wie die Ambition, schnell zu sein: Das Duft-Yoga, bei dem im Labor der Düfte zu den wohltuenden Aromen ätherischer Öle Yoga gemacht wird, oder beispielsweise der Lavendel-Pralinen-Workshop – beide Veranstaltungen finden erst 2025 statt – sind jeweils schon ausgebucht. 

In den ersten zwei Monaten seit Eröffnung waren schon über 6.000 Besucher aus einem überraschend großen Umkreis – von Köln bis Hamburg und auch aus dem Süden der Republik – im Sensoria und das, obwohl das Marketing noch ganz am Anfang steht. Und angesichts der Vielfältigkeit des Themas Düfte und Aromen sind einer Weiterentwicklung fast keine Grenzen gesetzt. „Das Tolle ist, dass wir so viele Trends dazu haben, was wir essen, was wir riechen, dass wir uns immer wieder dem Zeitgeist anpassen können und neue Themen aufgreifen können“, betont Ann-Kathrin Otte.

In Holzminden selbst ist das Sensoria schon vor Eröffnung fast so etwas wie eine Familienangelegenheit geworden. Viele Freiwillige haben mitgeholfen, damit die Eröffnung punktgenau stattfinden konnte – Ann-Kathrin Ottes Mutter beispielsweise hat die Vorhänge in der Videoausstellung auf den schrägen Bogen passend zurechtgeschnitten. „Wir hatten eine super Unterstützung der Menschen, das war etwas Einmaliges“, so Otte. „Damit haben wir eine Punktlandung hinlegen können: Am Tag der Eröffnung sind die letzten Handwerker raus, und alles war bereit.“ ƒ

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