Feuer & Flamme
Der Künstler Kain Karawahn hat einmal seiner Freundin verbrannte Rosen geschenkt und die Berliner Mauer in Flammen gesetzt. Seine Inszenierungen mit brennenden Benzinkanistern machten ihn berühmt. Nun lodert in ihm ein neues Feuer: Kinder sollen Feuer selbst begreifen und erleben. Eine Ausstellung bringt ihn nun in seine alte Heimat Göttingen zurück.
Zur Person
Kain Karawahn, Künstler und Dozent, Jahrgang 1959, arbeitet seit den 1980er Jahren in Theorie und Praxis über die Beziehung Mensch und Feuer in bildender und darstellender Kunst, Pädagogik und Philosophie. Karawahn vermittelt Kindern, Schülern und Erwachsenen den verantwortungsbewussten Umgang mit Feuer und schafft damit ein tiefes Verständnis für dessen geistiges und gemeinschaftsstiftendes Potenzial. In zahlreichen Workshops, Seminaren und weiteren Kunstprojekten bindet er Menschen aktiv ein und ermöglicht ihnen, eigene Erfahrungen mit selbst gestalteten Feuerereignissen zu machen. Karawahns Arbeiten wurden international ausgestellt und mehrfach ausgezeichnet.
» Feuer war immer Teil unserer Entwicklung, es wird auch Teil unserer Zukunft sein. «
Ein knisterndes Lagerfeuer, das warme Flackern einer Kerze, die behutsame Berührung einer Flamme auf der Haut – für viele Menschen sind dies Bilder der Geborgenheit, für andere Sinnbilder der Gefahr. Doch was passiert, wenn man Kindern die anerzogene Angst vor dem Feuer nimmt, sie spielerisch an den kontrollierten Umgang mit Flammen heranführt und aus dem vermeintlich gefährlichen Element einen Lehrmeister macht? Genau das ist die Mission des Künstlers Kain Karawahn.
Lange Zeit war Karawahn als Fotograf-, Performance- und Videokünstler bekannt, dessen Werke sich stets mit menschlichem Bezug zum Feuer beschäftigten. Seine brennenden Skulpturen, Flammeninszenierungen und das künstlerische Spiel mit kontrollierten Brandherden brachten ihn auf internationale Bühnen. Doch irgendwann stellte sich für ihn die Frage: Wie kann diese künstlerische Auseinandersetzung einen nachhaltigen Wert für die Gesellschaft schaffen? Die Antwort fand er darin, Feuerkompetenz vor allem an junge Menschen zu vermitteln. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet der Künstler mit Kindern und Jugendlichen, um ihnen auf spielerische Weise den richtigen Umgang mit Feuer beizubringen.
Probieren statt Panik
„Kinder lernen durch Erfahrung. Wenn sie keinen Zugang zum Feuer haben, dann suchen sie sich heimliche Wege, es auszuprobieren – und genau dort passieren Unfälle“, sagt Karawahn. Er entwickelte ein kunstbasiertes Lernmodell, das sich von klassischen Feuererziehungskonzepten unterscheidet. Statt Abschreckung will er altersgerecht Kompetenzen vermitteln. „Ein Kind muss Feuer nicht fürchten, sondern verstehen.“
Sein Konzept umfasst fünf Tage, in denen Kinder mit Streichhölzern, Kerzen und kleinen Lagerfeuern arbeiten – und am Ende bereitet jedes Kind am eigenen Feuer ein Essen zu. Sie lernen nicht nur, wie man Feuer entfacht, sondern auch, wie man es wieder löscht. Die Kinder überlassen ihr Feuer nicht einem unkontrollierten Prozess, laufen nicht weg, wenn es brennt, sondern bleiben an ihm dran und übernehmen Verantwortung von Anfang bis Ende. Sie experimentieren, beobachten die Naturgesetze der Flamme und entwickeln dabei ein tiefes Verantwortungsgefühl. Besonders bemerkenswert: Schon Fünfjährige seien in der Lage, dieses Wissen an Jüngere weiterzugeben, wodurch eine ,familiäre Feuerkompetenz‘ entsteht.
„Wenn ein Kind lernt, dass es für das, was es entfacht, auch die Verantwortung trägt, dann ist das eine der wertvollsten Lektionen fürs Leben – weit über das Thema Feuer hinaus“, sagt Karawahn. Das von ihm geschaffene Lernmodell bezeichnet er heute als sein wichtigstes Kunstwerk. Es wird von ihm in zahlreichen Bildungseinrichtungen, Behörden, Versicherungen, Feuerwehren und über Weiterbildungsseminare für Pädagogen multipliziert.
Wirtschaftlicher Effekt einer ungewöhnlichen Idee
Was zunächst als Nischenprojekt begann, hat sich zu einer ernstzunehmenden Bildungsbewegung entwickelt. Versicherungen, Bildungseinrichtungen, Feuerwehren und Unternehmen interessieren sich für Karawahns Methode. „Es gibt heute ein Defizit an Risikokompetenz“, erklärt er. „Viele Menschen wissen gar nicht mehr, wie sie mit elementaren Dingen umgehen sollen. Das betrifft nicht nur Feuer, sondern auch Themen wie Verantwortung, Gruppenorganisation oder Selbstdisziplin. “ Große Firmen wie Siemens haben seine Methoden bereits in Team-Building-Workshops integriert. In einer Welt, in der Innovation und Kreativität gefragt sind, gewinnen Konzepte an Bedeutung, die praktisches Lernen mit emotionaler Erfahrung verknüpfen. „Feuer ist ein wunderbares Medium dafür. Es zwingt zur Achtsamkeit, verlangt vorausschauendes Handeln und schafft eine intensive Gruppendynamik.
Zwischen Skepsis und Erfolg: Die gesellschaftliche Dimension
Trotz aller Erfolge stößt Karawahns Arbeit auch auf Widerstände. „Die Reflexe sind oft: ‚Feuer und Kinder? Das geht nicht!‘ Aber wenn man genau hinschaut, sind es nicht die Kinder, die unsicher sind – es sind die Erwachsenen “, so Karawahn. Er sieht es als seine Aufgabe, diese Blockaden zu lösen und den natürlichen Lernprozess wieder zuzulassen. „Unsere Vorfahren konnten vor vier Millionen Jahren Feuer kontrollieren, ohne Bücher. Warum sollten unsere Kinder das nicht lernen können?“ Alles was es zum eigenen Feuermachen brauche, sei ein Vorbild, welches die Anfänge kindlicher Feuerbildung professionell begleitet.
In Zeiten, in denen immer mehr gesellschaftliche Bereiche durch Sicherheitsdenken eingeengt werden, zeigt Karawahns Modell, dass verantwortungsvoller Umgang mit Risiko ein Schlüssel zu mehr Autonomie und Mündigkeit ist. Dies hat nicht nur lernende Relevanz. „Innovation entsteht nur da, wo Menschen bereit sind, Dinge auszuprobieren und mit Risiken umzugehen“, sagt er.
Seine Methode wurde inzwischen mehrfach ausgezeichnet, unter anderem von der Kulturstiftung der Länder und dem Brandenburger Bildungsministerium. Doch für Karawahn zählt vor allem die langfristige Wirkung. „Ich sehe Kinder, die nach fünf Tagen selbstbewusst mit Feuer umgehen, ihre Eltern instruieren und dabei eine Selbstsicherheit entwickeln, die ihnen in vielen anderen Lebensbereichen helfen wird.“
Feuer als Metapher
Mit seinen 65 Jahren denkt Karawahn bereits über die Zukunft seines Modells nach. „Ich kann das nicht ewig machen, aber das Wissen darf nicht mit mir verschwinden.“ Daher arbeitet er aktuell an der Ausbildung von Multiplikatoren, die sein Konzept weitertragen sollen. Zudem plant er die Publikation eines umfassenden Lehrbuchs, das seine Methode dokumentiert und für Pädagogen zugänglich macht.
In einer Welt, die zunehmend durch digitale Erlebnisse geprägt ist, erinnert sich Künstler Karawahn daran, dass elementare Erfahrungen nach wie vor unverzichtbar sind. „Feuer war das erste Medium des Menschen. Es hat uns geformt, unsere Gesellschaft entwickelt. Wenn wir diese Verbindung verlieren, verlieren wir ein Stück unserer Identität.“
Und so bleibt das Feuer für Kain Karawahn nicht nur ein künstlerisches, sondern auch ein gesellschaftliches Werkzeug – ein Symbol für Verantwortung, Gemeinschaft und den Mut, Neues zu wagen.
Die nächste Generation des Feuerlernens
Erste Studien deuten darauf hin, dass Kinder, die im frühen Alter den Umgang mit Feuer lernen, später eine ausgeprägtere Risikokompetenz besitzen und insgesamt selbstständiger agieren. Darüber hinaus zeigt sich, dass Feuerlernen einen positiven Einfluss auf die motorischen Fähigkeiten und die Konzentrationsfähigkeit hat. Feuer war das geistige Zentrum, bestimmte und beeinflusste die Atmosphäre menschlicher Begegnung und Entscheidungsfindung. „Feuer ist eine der besten Metaphern für Verantwortung und Entscheidungsfindung“, sagt Karawahn. Er selbst sieht das als logischen nächsten Schritt: „Feuer war immer Teil unserer Entwicklung, es wird auch Teil unserer Zukunft sein.“ ƒ