Felix fragt das Meer

Der Göttinger Felix Dossmann wollte mit ,Grünfuchs‘ die Logistik der sogenannten ,letzten Meile‘ nachhaltig revolutionieren. Vor einem Jahr ging das Unternehmen
insolvent. In einer letzten Suche nach Investoren ­scheiterte das ambitionierte Herzensprojekt endgültig – und ­ziemlich öffentlichkeitswirksam. Für die Gesundheit
war die Zeit Raubbau, um die Seele wurde es schwarz. Nach einer Auszeit spricht Felix Dossmann offen über Versagensängste, fremde Hilfe und darüber, was ihm
das Meer auf seine vielen Fragen antwortete. 

Im Januar sind die Wellen der Ostsee rau und weit. Ein Blick hinaus kann über Stunden neue Bilder liefern. Es ist ein kalter Morgen. Die Wellen schlagen gegen die felsige Küste der Ostsee, und Felix Dossmann steht einfach nur dort und blickt hinaus ins unendliche Grau. Sein Blick ist ruhig, doch in ihm tobt eine leise, unaufhörliche Flut. Es ist der erste Morgen seit langer Zeit, an dem Stille in sein Leben eingekehrt ist. Die letzten Monate waren von einem Sturm, von aufgewühlten Wellen und einem schier endlosen Kampf geprägt – ein Kampf um die Zukunft seines Unternehmens, Grünfuchs – und um seine eigene.

,Grünfuchs‘ war mehr als ein Start-up. Es war die Umsetzung einer Vision, die Felix Dossmann fest in seinem Herzen trug. Es sollte die Art und Weise revolutionieren, wie Waren innerhalb einer Stadt zugestellt werden. Angesichts einer überlasteten städtischen Infrastruktur, der zunehmenden Luftverschmutzung und den Herausforderungen der ,letzten Meile‘ in der Logistik wollte Felix Dossmann eine umweltfreundliche Alter­native schaffen. Die Paketzustellung in Ballungsräumen ist komplex und oft von ineffizienten Fahrten einzelner Lieferfahrzeuge in dieselbe Straße geprägt – eine Tat­sache, die Dossmann schon früh als eine der größten Schwächen traditioneller Logistikdienste erkannt hatte.

Sein Plan mit ,Grünfuchs‘ war es, diesen Verkehr durch eine nachhaltige, moderne Lösung zu entlasten: Lastenfahrräder und Elektromobile sollten für kurze Strecken eingesetzt werden, unterstützt von strategisch platzierten Umschlagplätzen. Die Lastenfahrräder von Grün­fuchs waren nicht die typischen Modelle, sondern größere Fahrzeuge, die mit modularen Containern und Systemen ausgestattet waren, die mehr Effizienz und weniger Emissionen versprachen. Außerdem sollte der grüne Fuchs der Öffentlichkeit zeigen, dass es möglich ist, ­Paketzustellung und Umweltbewusstsein zu vereinen.

Doch Grünfuchs war nicht nur als logistische ­Lösung gedacht – es war auch eine Hommage an seine Familie, besonders an seine beiden kleinen Töchter, die beim Entwickeln des ursprünglichen Spielkonzepts, das das ­Unternehmen inspirierte, mit dabei waren. Der Name ,Grünfuchs‘ selbst entstand aus einem Moment der Krea­tivität mit seinen Kindern, und Felix gab dieser Marke einen liebevollen Platz in seinem Leben. Er hoffte, dass seine Kinder einmal stolz sagen könnten, ihr Vater habe einen Unterschied in der Welt gemacht.

Felix Dossmann ist auf dem Spielfeld der Unternehmer nicht neu. Seit mehr als 20 Jahren hat er schon selbst Firmen gegründet oder Gründungen als ­Berater begleitet. Mit der ,dff solutions GmbH‘ startete er im Jahr 1998 ein Unternehmen, mit dem er 2017 ­einen lukra­tiven Exit schaffte. Schon damals ging es um Digitalisierung und Transportlogistik. Erfahrung, Erfolg und ein finanzielles Polster waren also vorhanden. Was sollte diesmal also schiefgehen? Mit viel Enthusiasmus, Optimismus und der Hoffnung auf eine nachhaltige Stadt­logistik wagte Dossmann also den erneuten Sprung ins Unternehmertum. Er und sein Team gingen mit Elan an die Arbeit und starteten Grünfuchs in einer Zeit, in der das Bewusstsein für Nachhaltigkeit wuchs. Doch als ein vielversprechender Investor kurz vor Vertragsabschluss absprang, begann das Fundament seines Projekts zu ­bröckeln. Ohne zusätzliche finanzielle Unterstützung, um das Wachstum und den Ausbau voranzutreiben, wurde die Lage für Grünfuchs immer schwieriger.

Die letzten Monate vor der Insolvenz glichen einem verzweifelten Wettlauf. Felix Dossmann hielt sich an jedem Hoffnungsschimmer fest und suchte unermüdlich nach Alternativen, um sein Unternehmen zu retten. Er traf Investoren, nahm an Wettbewerben teil und warb um das notwendige Kapital. „Ich habe alles versucht, um das Schiff auf Kurs zu halten“, erzählt er. Sogar bis zur letzten Minute versuchte er noch, potenzielle Investoren zu treffen, einen ,weißen Ritter‘ zu finden, der Grünfuchs das Überleben sichern könnte. Doch das Vertrauen der Investoren schwand in einem unsicheren wirtschaftlichen Umfeld, und die Bereitschaft, in ein ,grünes‘ Logistikunternehmen zu investieren, nahm ab. Am 25. September 2023 kam schließlich die unvermeidliche Entscheidung: Felix Dossmann meldete Insolvenz an.

Doch das Licht ist immer noch nicht ganz aus. Kurz nach der Insolvenz bekommt Dossmann eine Einladung zum Finale des Deutschen Nachhaltigkeitspreises, bei dem Grünfuchs als Finalist in der Kategorie für innovative und nachhaltige Unternehmen nominiert war. Felix Dossmann nahm die Einladung an und reiste mit gemischten Gefühlen zur Preisverleihung. „Es war eine seltsame Mischung aus Hoffnung und Wehmut“, beschreibt er die Stimmung an diesem Abend. Findet sich auf dieser Bühne eventuell ein rettender Investor?

In einem Saal mit mehr als tausend Menschen standen Felix Dossmann und die anderen Nominierten auf der Bühne, und Grünfuchs wurde mit dem dritten Platz ausgezeichnet. Ein stolzer Moment, doch für den gescheiterten Gründer war es auch ein symbolisches ­Abschiednehmen von seinem Traum. „Das war der ­Moment, in dem ich dachte, wenn wir hier gewinnen, dann finden wir vielleicht doch noch jemanden, der Grün­fuchs eine Chance gibt“, erzählt er. Es blieb bei der Hoffnung. Stattdessen nahm er den Preis als Zeichen dafür, dass seine Vision und seine Arbeit eine Bedeutung hatten, auch wenn das Unternehmen selbst am Ende nicht überlebte.

Der Blick aufs Meer brachte Felix die Ruhe, die in ihm und um ihn herum so lange gefehlt hatte. Nach dem Untergang seines Unternehmens zog er sich zurück, um sich die Wunden zu lecken, den Blick zu klären und den Schmerz zuzulassen, den er jahrelang erfolgreich ignoriert hatte. An der Küste der Ostsee, fernab vom Trubel und den endlosen Anforderungen, erkannte Felix Dossmann, dass der Verlust seines Unternehmens ihn nicht als Person scheitern ließ. Er nahm sich vor, die Ruhe als Chance zu begreifen – eine Chance, das Chaos zu verarbeiten und sich selbst neu zu entdecken.

Felix Dossmann erinnert sich an die drei Tage, in denen er einfach nur aufs Meer schaute und die Stille auf sich wirken ließ. Es war eine Zeit des Nachdenkens und der Selbsterkenntnis, eine Phase, in der er nicht nur die äußeren Umstände hinterfragte, sondern auch seine eigenen Entscheidungen und Fehler. In der Einsamkeit dieser Tage stellte er sich Fragen, die er lange verdrängt hatte: Wo waren die Entscheidungen gefallen, die den Kurs von ,Grünfuchs‘ beeinflussten? Was hätte er anders machen können? Und vor allem: Wie könnte er als ­Unternehmer, aber auch als Mensch aus diesem Scheitern gestärkt hervorgehen? Das Meer in ihm und die Wellen antworteten.

In dieser Phase der Reflexion nahm Dossmann auch die Hilfe von Profis in Anspruch. „Es gibt für alles einen Arzt“, sagt er, und genauso, wie man bei einem körper­lichen Unfall den Orthopäden konsultiert, wandte sich Felix Dossmann an einen Coach und einen Psychotherapeuten, die ihm halfen, den emotionalen Schmerz und die Wunden der Insolvenz zu verarbeiten. Die therapeutische Unterstützung ermöglichte ihm, das Scheitern als einen Teil seiner Reise zu akzeptieren und nicht als Definition seiner Person.

ZUR PERSON
Der gebürtige Iserlohner Felix Dossmann kam 1995 als Student nach ­Göttingen, wo er eine neue ­Heimat fand und gern mit seiner Frau ­Cécile und seinen beiden Töchtern Flora und Carla (9 und 12 Jahre alt) lebt.

Dort gründete der Selfmade-­Unternehmer, Computer-Nerd und ­Star-Trek-Fan im Jahr 1998 aus dem Stu­dium heraus seine erste Firma. Seit dem erfolgreichen Verkauf seines ­Unternehmens 2017 unterstützte er Start-ups und gründete ein Jahr später ,Grün­fuchs‘. Nach der Insolvenz Ende 2023 engagiert er sich nun als Projektleiter mit dem Schwerpunkt
Innovative Logistik bei der ,SV Gruppe‘ in Ravensburg. 

Die Therapie und das Coaching halfen ihm, die Ängste und die Unsicherheiten zu verarbeiten, die mit dem Scheitern einhergingen. Sie lehrten ihn, dass Scheitern kein Zeichen der Schwäche ist, sondern ein Schritt auf dem Weg zu persönlichem Wachstum. Es war eine Befreiung, die es ihm ermöglichte, sich neu zu ­orientieren und das Scheitern als Erfahrung und nicht als endgül­tigen Verlust zu begreifen. „Ich hatte Angst, dass das Scheitern mich kaputtmachen könnte“, sagt der Gründer. Doch die Unterstützung, die er durch ­Therapie und Gespräche mit anderen Menschen in ähn­lichen Situationen erhielt, half ihm, neuen Mut zu fassen. Eine Erfahrung, die er 2018 nach dem Verkauf ­seiner ersten Firma schon einmal gemacht hatte. Damals schien die erzwungene Auszeit allerdings weniger lehrreich. 

Felix Dossmann ist ein Mann mit einem unerschütter­lichen Glauben daran, dass aus jedem Ende ein Anfang entspringt. Was er aus dem Scheitern von Grünfuchs gelernt hat, geht über betriebswirtschaftliche Einsichten hinaus – es sind Lektionen, die ihm im persönlichen und unternehmerischen Sinne zu einem neuen Fundament wurden.

Eine der tiefsten Erkenntnisse, die er aus der Insolvenz gewonnen hat, war die Bedeutung von Resilienz und Selbstfürsorge. Die Erfahrung hat ihn gelehrt, dass Selbstfürsorge und das Bewahren der eigenen Gesundheit Vorrang vor dem beruflichen Erfolg haben sollten. „Heute weiß ich, dass ich mich selbst als Mensch nicht für ein Projekt aufgeben darf“, sagt er und blickt auf die Jahre zurück, in denen er sich bis an die Grenzen seiner Belastbarkeit für Grünfuchs  einsetzte.

Darüber hinaus hat Felix Dossmann die Bedeutung eines breiten Netzwerks und einer vielseitigen Finan­zierung für jedes Start-up gelernt. Er hat erkannt, dass es riskant ist, sich auf eine einzige Investitionsquelle zu verlassen. Rückblickend stellt er fest, dass ein breites Netzwerk an Investoren und strategischen Partnern viele ­Herausforderungen hätte abfedern können, die letztlich zu der finanziellen Misere führten. „Wir wollten zu schnell zu viel“, resümiert er heute. 

Nach der Insolvenz von Grünfuchs entschied sich Felix Dossmann, zunächst nicht direkt wieder in die Selbstständigkeit zurückzukehren. Stattdessen nahm er eine Position in einem großen Verlagshaus an, das eine nachhaltige Auslieferlogistik betreibt und ihn beauftragt hat, seine Vision von umweltfreundlicher Logistik in ­einem anderen Rahmen umzusetzen. In dieser Rolle ­entwickelt Felix innovative Zustellkonzepte, die nicht nur auf dem ,grünen‘ Gedankengut von Grünfuchs ­basieren, sondern auch den praktischen Herausforderungen eines etablierten Verlagsunternehmens gerecht werden.

Felix Dossmann arbeitet nun daran, bestehende Zustellprozesse des Verlagshauses so umzugestalten, dass sie umweltfreundlicher und effizienter werden. Dazu zählen die Integration elektrischer Fahrzeuge, die Nutzung moderner Software für Routenoptimierungen und die Entwicklung einer modernen, nachhaltigen Infrastruktur. Im Kern bleibt Felix seiner ursprünglichen Mission treu: eine Logistik zu schaffen, die Rücksicht auf die Umwelt und die Bedürfnisse der Menschen nimmt. Das Verlagshaus gibt ihm hierbei die nötige Stabilität, aber auch den kreativen Freiraum, um weiter an seiner Vision zu arbeiten.

„Es ist, als hätte ich ein neues Kapitel aufgeschlagen“, sagt er. „Ich kann hier meine Erfahrungen und die Lehren aus Grünfuchs einbringen, aber ich muss nicht allein verantwortlich sein.“ Die neue Posi­tion gibt ihm den Raum, seine Vision in einem anderen Licht zu betrachten und gleichzeitig neue Ideen für eine umweltfreundliche Logistik zu entwickeln. Dossmann hat nun die Möglichkeit, etwas Langfristiges aufzubauen und die Ziele, die ihm so wichtig sind, in einem stabilen Umfeld weiterzuverfolgen.

Obwohl das Unternehmen Grünfuchs nicht mehr existiert, bleibt die Marke bestehen – und das ist nicht nur symbolisch. Nach der Insolvenz hat Dossmann die Markenrechte zurückgekauft, ein Schritt, der zeigt, dass er das Projekt, das ihm so viel bedeutet, nicht vollständig loslassen kann. Die Marke Grünfuchs ist für ihn nicht nur ein unternehmerisches Abenteuer, sondern auch ein Symbol für seine Vision einer umweltfreundlicheren, ­effizienteren Logistik und ein Stück familiärer Identität, das er ursprünglich mit seinen Kindern aufgebaut hat.

Felix Dossmann hat damit die Möglichkeit, Grün­fuchs eines Tages neu zu beleben. Momentan liegt der Fokus jedoch auf seiner neuen Anstellung und der Weitergabe seines Know-hows im Verlagshaus. Doch die Chance, dass Grünfuchs  noch ein zweites Leben erhält, ist keineswegs vom Tisch. Möglicherweise wird er die Marke in künftige Projekte einfließen lassen, vielleicht als Nebenprojekt oder in Kooperation mit anderen ­Unternehmen. Auch wenn die Zeit für eine direkte Rückkehr zur Selbstständigkeit noch nicht gekommen ist, bleibt die Tür für eine Rückkehr des ,grünen Fuchses‘ immer einen Spalt offen.

Ans Meer fährt Felix Dossmann künftig nur noch in den Urlaub. Auch um Zeit mit seiner Familie nachzu­holen. Geheilt, gestärkt, ermutigt. „Ich bereue nichts“, sagt er heute. „Wenn ich es noch einmal machen würde, dann vielleicht langsamer und mit mehr Bedacht. Aber den Mut, es zu versuchen, würde ich mir niemals nehmen lassen.“ ƒ

Fotografie: Alciro Theodoro da Silva, Thomas Kleinert
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