Einfach nie aufgehört

Maxim Seehagen ist Comic-Zeichner und Autor, mit einem Pinselstrich bringt er tausende Menschen zum Schmunzeln. Der Northeimer gilt als Hoffnungsträger für eine Branche, die wenig Nachwuchs hervorbringt. Sein Talent sieht er darin, dass er eine entscheidende Sache nicht gemacht hat: aufhören. 

Oft ist Maxim Seehagen nicht zu Hause. Empfängt er in seiner Dachgeschosswohnung Besuch,  finden sich dort nur wenige Möbel, die eher zurückhaltend an den Wänden und in den Ecken verstaut sind. Das Zentrum der Welt von Maxim Seehagens bildet ein Schreibtisch, ausgestattet mit einem iPad und einem Stift – mehr braucht er nicht, um seine Ideen zum Leben zu erwecken. Und das Beste: alle diese Dinge lassen sich überall hin mitnehmen. 

Schon seit seiner Kindheit malt und zeichnet Maxim Cartoons und Comics. Bereits mit elf Jahren ließ er seine ersten eigenen Hefte drucken und verkaufte sie auf Messen und im Internet. Heute erschafft er einzigartige Figuren und Geschichten, die mit seinem ganz eigenen Humor eine treue Fangemeinde auf Instagram gefunden haben. Wann er genau damit angefangen hat, das weiß er heute nicht mehr. Das sei aber auch nicht wichtig. „Als Kinder haben wir doch alle irgendwas gemalt und gekritzelt, oder?“, fragt Maxim zurück. „Ich habe einfach niemals damit aufgehört.“ So einfach kann es sein.

 

Große Vorbilder

Inspiration findet Maxim im Alltag. Während er seinen Stift über das Papier führt, wacht das junge Gesicht von Otto Waalkes auf einer Schallplatte über seine Schulter – ein Sammlerstück und eine Hommage an einen seiner Idole. Im Regal daneben stehen Bücher und Hefte der Nichtlustig-Comics von Joscha Sauer sowie gezeichnete Figuren von Ralph Ruthe. Diese Namen mögen nicht jedem bekannt sein, doch ihre Comics und Charaktere kennt fast jeder. Für Maxim sind sie mehr als nur Vorbilder – heute darf er für sie arbeiten. Beide Künstler wurden auf ihn aufmerksam, als sie seine Arbeiten auf Instagram entdeckten. „Es ist irgendwie so surreal, dass wir lachen müssen, wenn wir alte Fotos finden, auf denen ich mit elf Jahren bei einer Signierstunde vor ihnen stehe“, sagt Maxim. Als Autor liefert er Gags und Witze, die Sauer und Ruthe dann mit ihrer bunten Feder auf das digitale Papier bringen. Welche das genau sind, bleibt ihr gemeinsames Geheimnis.

Viel Zeit verbringt Maxim nicht in seiner Northeimer Wohnung. Nach dem dualen Studium und dem Abschluss als Kreisinspektor beim Landkreis Northeim ist er dort für den Bereich der Digitalisierung zuständig. Eigentlich ein ziemlich nüchterner Job für den Künstler Seehagen. Doch schon während der Pandemie hat er seine kreativen Fähigkeiten auch beruflich einbringen können, indem er für das kommunale Impfzentrum Comicfiguren zeichnete und Flyer sowie Broschüren gestaltete. Das ,Doppelleben‘ funktioniert, erfüllt und schafft Gelegenheiten. „Es kam auch schon mal vor, dass eine Kollegin auf dem Flur zu mir kam und sagte: Herr Seehagen, ich muss mit Ihnen reden“, erzählt der 24-Jährige. „Ich dachte: ,Oh Gott, was kommt jetzt?‘ Dann redet sie weiter: ,Ich habe den Cartoon heute Morgen in der Zeitung nicht verstanden!‘ Viele Kolleginnen und Kollegen verfolgen, was ich mache und sprechen mich darauf an.“

Seine Freizeit vom Büroalltag verbringt Maxim mittlerweile in Städten wie Berlin, Frankfurt, Köln und Hamburg. Auf Messen zeigt er seine Comics, gibt Autogramme und vernetzt sich mit anderen Künstlern. Im Zug oder im Hotelzimmer entstehen dann oft neue Ideen und Skizzen für seine Comics und Cartoons, die wenig später auf seiner Instagram-Seite tausende Lacher verursachen.

 

Eine seiner ersten bekannten Figuren war Herrmann – ein Alltagsheld, der etwas naiv, aber liebenswert ist und scheinbar jedes Fettnäpfchen mitnimmt. Herrmann ist eine Mischung aus dem deutschen Michel und einem Tunichtgut, der jedoch immer gute Absichten verfolgt. Mit Beginn der Pandemie im Jahr 2020 schuf Maxim einen neuen Charakter: einen hysterischen Hamster, der ständig schlecht gelaunt ist und Dinge ,hamstert‘ – eine humorvolle Reaktion auf die damaligen Einkäufe. Nach fast zehn Jahren und über 1.000 Motiven entschied sich Maxim, seinen ,Herrmann‘ in Rente zu schicken. Auch sein Profilnamen in sozialen Medien änderte er von ,Herrmann-Comics‘ zu ,Maxim Seehagen‘, um sich selbst noch enger mit seiner Kunst zu verknüpfen. 

Sein neuer Held bleibt eher neutral, während die Geschichten und Witze zunehmend autobiografische Züge annehmen. Maxim experimentiert inzwischen mit seiner Kunst, präsentiert seine Comics live auf Bühnen und bringt sein Publikum zum Lachen. Parallel dazu schreibt er weiterhin Gags und Texte für Ruthe und Sauer – und erweckt seine eigenen Figuren immer weiter zum Leben. Die Beliebtheit wächst. Wer nach Maxim Seehagen sucht, folgt ihm wie fast 30.000 weitere Menschen bei Instagram. Im November sind seine Comics in der ,Caricatura-Galerie‘ in Kassel zu sehen. „Wie ich es hier hinein geschafft habe, weiß ich auch nicht so richtig“, sagt er bescheiden. Vor allem, weil die Comics daneben von seinen großen Helden stammen. Menschen, die zum Teil doppelt so alt sind wie er.

 Viele Comics gleichaltriger gibt es in diesem Umfang nicht. Gleichwohl sucht Maxim den Kontakt zu anderen jungen Künstlern, gilt mittlerweile als Vorbild für sie. Eine ungewohnte Situation für den Mitte-20-Jährigen, der selbst noch gern nach oben schaut, sich Inspiration abholt und Feedback einsammelt. Die Wahrheit ist aber auch: Maxim gilt nicht mehr nur als Nachwuchstalent oder Hoffnung, sondern als einer von ihnen, einer von den Großen. In einer Zeit, in der sich – vor allem im Internet – Bilder bewegen müssen, bietet er Humor im Moment. Ein Witz, der bleibt, nicht wegläuft und im Kopf des Betrachters wachsen darf. Auch deswegen schreibt er seine Ideen manchmal noch in ein richtiges Notizbuch. Mit einem Stift. Auf Papier. 

Wie die ,Kritzeleien‘ und Zeichnungen seiner Vorbilder landen diese dann hin und wieder an der Wand seiner Wohnung in Northeim. Als Erinnerung, als Leuchtturm und die Momente, wenn mal keine neuen Ideen zu kommen scheinen. Dann ist Maxim auch gern wieder Zuhause. ƒ

Alciro Theodoro da Silva

ZUR PERSON

Maxim Seehagen, geboren am 26. Dezember 1999 in Bad Gandersheim, hat sich schon früh als Comiczeichner und Autor einen Namen gemacht. Bereits 2014 veröffentlichte er sein erstes eigenes Comicheft in ­einem Indie-Verlag. Sein Durchbruch gelang ihm mit einer eigenständigen Comicstrip-Serie, die er von 2012 bis 2022 schuf. Über die Jahre wuchs die Serie auf beeindruckende 400 Folgen an und fand 2017 ihre Anerkennung mit dem Münchner Comicpreis. Seit 2021 arbeitet Seehagen auch als Autor für andere Comicprojekte und erweitert kontinuierlich sein Repertoire. Sein neuestes Werk, eine Cartoon-­Serie, erscheint seit 2023 regelmäßig in Zeitungen, Büchern und online und begeistert ein breites Publikum.

Alciro Theodoro da Silva

TOP

entdeckt, entwickelt & erzählt Erfolgsgeschichten