Ein Augenblick Wildnis
Von stillen Schneelandschaften bis zu dramatischen Begegnungen mit Grizzlybären – die Fotografin Margitta Hild aus Scheden lebt ihre Leidenschaft für Natur und Fotografie aus. Ein Blick hinter die Kulissen verrät: Jeder ihrer Schnappschüsse ist das Ergebnis harter Arbeit, der Liebe zur Natur und einem besonderen Gespür für den perfekten Moment.
Zur Person
Margitta Hild ist 58 Jahre alt und wohnt in Scheden im Landkreis Göttingen. Seit zehn Jahren arbeitet sie als Fotografin.
Neben Auftragsfotografien für Firmen, Events, Hochzeiten, Familien und mit Haustieren hat sie sich der Landschafts- und Wildtierfotografie verschrieben.
www.fotopia-hild.de
Instagram: @margittahild
» Manchmal gibt es Momente, in denen ich echt lachen muss. «
Sie sitzt stundenlang bewegungslos im Tarnzelt und wartet darauf, dass die Fuchswelpen ihren Kopf aus dem Bau stecken. Sie steht Nacht für Nacht nördlich des Polarkreises in dicker Winterkleidung im Schnee und blickt in den Himmel, um das bunte Himmelsleuchten einzufangen. Und sie reiste zuletzt für viele Tage in die Wildnis von Alaska, um Grizzlybären beim Lachsfischen, Wale und Weißkopfseeadler zu finden. Margitta Hild aus Scheden im Landkreis Göttingen ist Fotografin aus Leidenschaft. Die Suche nach ihren Traummotiven führt sie quer über die Nordhalbkugel.
Besonders die nordischen Landschaften und Wildtiere haben es ihr angetan. In der kargen Wildnis Schottlands, Norwegens, Schwedens, Islands, Grönlands, Kanadas und Alaskas geht sie auf die Suche nach Polarlichtern und scheuen Tieren. „Ich bin einfach gerne in der Natur unterwegs. Und dieses nordische Licht ist unvergleichlich“, sagt die 58-Jährige. Sie genieße die Stille in der Natur und die Abgeschiedenheit, die es so in unserer Region nicht gebe. Mehrere Wochen im Jahr ist sie dafür unterwegs. Die vielen Reisen mit Auto, Boot und Flugzeug, das lange Planen, Warten, Wandern, Frieren und der Schlafmangel zahlen sich aus: Ihre Fotos waren in der Vergangenheit in großformatigen Hochglanzkalendern von Verlagen wie GEO, Heye, Weingarten, DuMont, Korsch und Alpha Edition zu sehen.
Was sie heute international macht, hat einmal in Südniedersachsen klein angefangen. Über eine Schul-AG hat die gebürtige Gimterin die Liebe zur Fotografie entdeckt. Damals lernte sie noch die analoge Schwarz-Weiß-Fotografie kennen und zudem, wie man die Fotos im Labor selbst entwickelt. „Wenn man das einmal gemacht hat, hat man sofort den intensiven Geruch der Entwicklungs- und Fixierungslösung in der Nase“, erzählt sie. Ihr beruflicher Weg führte sie allerdings zunächst in eine andere Richtung, abseits der beruflichen Fotografie. Und doch war die Kamera immer im Alltag, bei Familienurlauben und -feiern dabei. Durch die Teilnahme an einem VHS-Kurs schlug sie den Weg zur digitalen Fotografie ein.
Die Technik hatte sich zu digitalen Spiegelreflexkameras und spiegellosen Kameras weiterentwickelt, doch am Grundhandwerk des Zusammenspiels von Iso-Wert, Blenden- und Zeitwahl hatte sich nichts verändert. „Am Anfang hatte man einen Film mit 36 Fotos. Heute sind es Tausende, die auf die Speicherkarte passen. Das ist ein Segen und ein Fluch für die folgende Bildbearbeitung“, sagt Margitta Hild. Vor etwa zehn Jahren hat sie sich dann mit der Fotografie selbstständig gemacht und bietet auch individuelle Auftragsfotografie wie Event-, Hochzeits- und Familienfotografie sowie Aufnahmen für Firmen an. Auch der Hunde-, Pferde- und Haustierfotografie gehört ihr Herz. „Auch da gibt das Tier vor, was geht und was eben nicht. Genau wie in der Wildlife-Fotografie.“
Zu Beginn erkundete sie vor allem heimische Landschaften und ist auch während der Coronapandemie zu diesen Wurzeln zurückgekehrt. „Man wird mit der Zeit etwas betriebsblind. Wir haben so eine tolle Natur, man muss nur rausgehen. Auch hier in unserer Heimat findet man wunderbare Motive.“ So schaffte sie es zum Beispiel, Eisvögel beim Tauchen nach Fischen, Bussarde beim Kampf in der Luft und Uhu-Küken beim Nickerchen in ihrem Horst zu fotografieren – alles im Naturpark Münden.
Diese scheuen Tiere vor die Linse zu bekommen, ist keine einfache Aufgabe. „Tierfotografie ist eigentlich sehr viel Warten. Warten, warten, warten – in der Hoffnung, dass etwas passiert. Und letztendlich entscheidet das Glück darüber, ob man sein Foto bekommt“, erklärt die Fotografin. Sie verlasse das Haus meistens mit einem bestimmten Bild im Kopf – einem Tier, einem Ort oder einem Licht, das sie einfangen möchte. Doch gebe es auch viele Tage, an denen sie nach acht Stunden im Tarnzelt ohne Ergebnis nach Hause gehe. Wenn dann an Tag zehn endlich das Traumfoto gelingt, empfinde sie pure Freude.
Zum perfekten Motiv gehört eine Menge Planung. An erster Stelle steht hier ein Netzwerk an Ortskundigen im In- und Ausland. Von Touristenführern, Jagdpächtern und Naturschützern erfährt sie, wo welche Tiere zu finden sind. Dieser Austausch basiere auf einem absoluten Vertrauensverhältnis. Die Standorte gebe sie grundsätzlich nicht weiter, um die scheuen und teils bedrohten Tierarten zu schützen. Leider habe sie schon oft erlebt, dass Bauten und Nester zerstört oder die Elterntiere verscheucht wurden, weil zum Beispiel neugierige oder unachtsame Menschen mit Handys zu dicht an die Tiere herangegangen seien. In der Wildtierfotografie müsse man Abstand halten und warten, dass die Tiere zu einem kommen – und nicht anders herum. „Wenn ein Foto nicht ohne eine Störung des Tieres möglich ist, dann verzichte ich auf das Foto“, sagt sie bestimmt.
So arbeitet sie zum Beispiel in Norwegen seit einiger Zeit erfolgreich mit einem Ortskundigen zusammen. „Der ist sowas wie ein moderner Wikinger. Er ist unglaublich naturverbunden, ich kann ihn mir gar nicht ohne Boot vorstellen. Auch er fotografiert gerne – und mittlerweile ist eine Freundschaft daraus entstanden. Es war purer Zufall und Glück für mich, dass wir uns kennengelernt haben. Er ist auf dieser kleinen Insel geboren, dort aufgewachsen, seit frühester Kindheit in der Gegend auf dem Wasser unterwegs und kennt die Tierwelt wie seine eigene Westentasche“, sagt Margitta Hild. „Er kennt vor allem auch die dort nistenden Adlerpaare und Brutterritorien seit seiner Jugend, beobachtet sie regelmäßig und beringt die Küken jedes Jahr.“ Sieben Tage lang seien sie dieses Jahr morgens und abends unterwegs gewesen, um die majestätischen Vögel im Flug, bei der Jagd und im perfekten Licht zu fotografieren.
Damit das Bild auch technisch gelingt, müssen für diesen einen Moment alle Kameraeinstellungen stimmen und im Notfall sofort angepasst werden können. Ausschlaggebend dafür sind vor allem die Wahl des Standortes, das Wetter und die Lichtverhältnisse. Deshalb gehört zu einer Fotoreise eine lange Zeit an Planung und Ortserkundung. „Wichtig ist auch immer der Hintergrund, ob du ihn scharf fotografierst oder nicht. Das hat eine enorme Wirkung auf dem Foto“, sagt die Fotografin. So wähle sie zum Beispiel einen beliebten Pfad des gewünschten Tieres und setze sich lange vor Eintreten des besten Lichts in Position. Dann gilt: hoffen, dass das Tier zum richtigen Zeitpunkt aus der gewünschten Richtung vorbeiläuft. Wenn es nichts wird, kommt sie am nächsten Tag wieder.
Aber wenn doch, ist die Stimmung im Tarnzelt ausgelassen. Still und unsichtbar verschmilzt sie darin mit der Natur und kann die Tiere beobachten, ohne selbst wahrgenommen zu werden. „Manchmal gibt es Momente, in denen ich echt lachen muss“, sagt sie. Ein Tier, das ihr sehr am Herzen liegt, ist der Fuchs. Und so weiß sie besonders die Momente zu schätzen, in denen sie eine Mutter mit ihren Welpen beim Spielen und Kuscheln beobachten konnte, die Welpen miteinander tobten und neugierig die Welt erkundeten.
Was ein gutes Foto für sie ausmacht? „Grundsätzlich möchte ich das Foto so haben, wie ich es in der Natur gesehen habe. Ich halte nichts von Kompositionen“, erklärt Margitta Hild. Weil das menschliche Auge mehr als ein Kamerasensor sieht, bearbeite sie die Fotos am Computer nur so viel, dass es ihrem eigenen Erlebnis entspricht. Und: „Ein Foto ist für mich interessant, wenn du das Wesen des Tieres erkennst.“ Deshalb nehme sie das lange Warten gerne in Kauf, um ganz besondere Motive einfangen zu können.
Bei der Gestaltung setzt sie gerne auf besondere Lichtverhältnisse. Während Laien möglichst auf Gegenlicht verzichten, setzt sie es gezielt ein. „Gegenlicht oder Zwielicht ist ein super Element, um ein Foto interessanter zu machen“, sagt sie. Normales Tageslicht lasse ein Motiv oft zu hart erscheinen. Warmes Morgenlicht und goldenes Abendlicht könnten hingegen für eine besondere Atmosphäre sorgen.
Doch nicht nur die Sonne, auch den Mond nutzt sie bewusst für ihre Arbeit. So wählt sie für die Polarlichtfotografie am liebsten helle Vollmondnächte. Der Mond mindere zwar die Farbintensität der Himmelserscheinung, doch dafür könne man die Landschaft besser erkennen. Statt einer schwarzen Bergsilhouette sind die Gebirgsketten durch den Mond fast so gut zu erkennen wie bei Tageslicht und verleihen einem Bild mehr Details. „Es ist unglaublich, wenn du in der Natur stehst, kein Mensch ist um dich herum, es herrscht wahnsinnige Stille. Und dann kriecht dieses Polarlicht über den Berg auf dich zu. Das ist einfach gigantisch und mystisch“, beschreibt sie die Erfahrung.
Im Laufe der Jahre hat sie einige besondere Momente einfangen können. Ein persönliches Highlight war ein Besuch in Alaska, bei dem sie sich den lang gehegten Wunsch erfüllen konnte, Grizzlybären zu fotografieren. Weil eine Begegnung mit diesen Tieren durchaus gefährlich sein kann, hat sie auch dafür die Hilfe von erfahrenen Guides in Anspruch genommen. „Jeder einheimische Kanadier oder Amerikaner, den ich gefragt habe, hat gesagt, einem Grizzly willst du in der freien Wildnis nicht begegnen“, erzählt sie. Denn leider komme es auch immer mal wieder zu Bärenattacken, auch auf Menschen in Begleitung von Hunden – wie auch kurz vor ihrem Besuch. Überall in dem Land stünden Schilder mit Verhaltensweisen für Bärenbegegnungen und -attacken. In Begleitung eines Ortskundigen und mit Bärenspray im Gepäck ist es ihr dennoch gelungen, die mächtigen Tiere beim Fischen zu fotografieren – im sicheren Abstand von einem Boot, aus einem Auto heraus oder von einer Brücke herab. „Die Bären haben oft ihre Routine, wann sie herauskommen und wo sie entlanggehen, aber ich war vorsichtshalber mit einem einheimischen Fotografen unterwegs, der regelmäßig Bären fotografiert“, sagt sie. Mit diesem Hintergrundwissen war es ihr möglich, sich an der richtigen Stelle zu positionieren, um die Bären beim Sprung ins Wasser abzulichten. Trotz aller Planung und Vorsicht sei sie dennoch einem Bären nähergekommen als ursprünglich geplant. Denn der habe eines Tages entschieden, auf der Brücke entlangzulaufen anstatt wie üblich darunter her. „Plötzlich war er oben. Da hilft nur Ruhe bewahren, langsam rückwärtsgehen und dem Tier Platz geben. Oder einfach in das nächste Auto einsteigen – das ist dort eine Selbstverständlichkeit“, erinnert sich Margitta Hild. Abstand, Ruhe und gehöriger Respekt seien in so einer Situation, in der das Fotografenherz nicht nur aus Freude um das Motiv pocht, ausschlaggebend.
Ein anderes Glückserlebnis hat sie in Kanada erlebt. Dort konnte sie die kleinen und flinken Kolibris fotografieren. Auf Vancouver Island sollte es überall Kolibris geben, doch vor Ort sei es ihr dann schwergefallen, die winzigen Vögel in der Natur zu finden. Deshalb habe sie sich in einem Baumarkt erkundigt, wo es in der Gegend Futterspender für die Tiere gibt. Eine Kundin habe das Gespräch verfolgt und sie kurzentschlossen in ihren Garten eingeladen. Die gastfreundliche Frau habe einen Baum im Garten gehabt, in dem die winzigen Vögel leben. In den folgenden Tagen habe sie den Garten betreten dürfen, wann immer sie wollte, und sei von der Kanadierin stets mit Essen und Trinken versorgt worden. So ist dann das Traumfoto des Vögelchens im Flug entstanden. „Die Fotografie an sich ist einfach fantastisch. Aber solche Menschen kennenzulernen, ist noch mal ein Bonus“, sagt Margitta Hild.
Und was steht noch auf der Wunschliste? „Eisbären“, lautet die Antwort. Dieses seltene Tier bei der Robbenjagd zu beobachten, ist das nächste große Ziel. „Aber vielleicht bleibt es auch ein Traum.“ Auch Polarfüchse reizen die Fotografin. Die seien besonders schwer zu fotografieren, weil sie in Norwegen unter speziellem Schutz stehen und nur aus weiter Ferne beobachtet werden dürfen. Und ein Bild von Walen beim sogenannten Bubblenetfishing einzufangen, wünscht sie sich. Die Ideen gehen ihr also so schnell nicht aus. Am Ende ist es eine Mischung aus guter Planung, Geduld und immer auch purem Glück, die auf der Suche nach dem perfekten Motiv den Unterschied machen. ƒ