Das andere Ruhstrat
Die Ruhstrat-Gruppe aus Bovenden hat in den vergangenen 20 Jahren einen starken Wandel durchlaufen. Die Digitalisierung der Stromnetztechnik und die Energiewende haben Ruhstrat zu einem stark innovativen Unternehmen gemacht, das weltweit Kunden mit Transformatoren, Netztechnologien und Notstromsystemen ausstattet.
DIE VERLÄNGERTE WERKBANK
Die Ruhstrat-Gruppe in Bovenden hat eine Geschichte, die bis ins Jahr 1888 zurückreicht, als die Gebrüder Adolf und Ernst Ruhstrat in der Lange-Geismar-Straße 74 in Göttingen eine kleine technische Werkstatt gründeten – das Gründungshaus befindet sich noch immer im Besitz der Familie von Inhaber Andreas Ruhstrat.
Es war eine der für die Zeit typischen Gründungen im Orbit der Universität, die für die naturwissenschaftliche Forschung immer wieder neue Gerätschaften brauchte, Ruhstrat war eine dieser ,verlängerten Werkbänke‘.
In den ersten Jahren konzentrierten sich die Gebrüder auf die Installation elektrischer Systeme, darunter Telefone, elektrische Haus-Telegraphen und Alarmanlagen. Ihre Innovationskraft zeigte sich 1894, als sie in Zusammenarbeit mit der Universität Göttingen den ersten regulierbaren Schieberegler entwickelten und 1896 den ersten widerstandsbeheizten Hochtemperaturofen.
In den folgenden Jahrzehnten erlebte das Unternehmen ein starkes Wachstum. 1920 wurde die Elektroschaltwerke AG gegründet, die sich auf die Herstellung elektrischer Apparate spezialisierte und während des Ersten und Zweiten Weltkriegs wichtige Produkte wie Notbeleuchtungen und militärische Ausstattungen lieferte. Die Ruhstrat-Gruppe diversifizierte ihr Produktangebot und erweiterte ihre Märkte, wobei der Export bereits in den 1930er-Jahren einen signifi-
kanten Teil des Umsatzes ausmachte.
Ein entscheidender Wendepunkt in der Unternehmensgeschichte war 1956, als die Brüder Ernst-August und Adolf Ruhstrat das Unternehmen in zwei unabhängige Firmen aufteilten. Adolf Ruhstrat gründete den Göttinger Zweig, der sich auf Haus- und Versorgungstechnik spezialisierte, Ernst-August übernahm die Ruhstrat GmbH, die sich auf elektrische Widerstände, Transformatoren und Hochtemperaturöfen konzentrierte und sich in Bovenden ansiedelte.
Wer schon einmal durch den Elbtunnel gefahren ist oder im Kino war, kam bereits in den Genuss der Ruhstrat-Technik, ohne davon näher Notiz zu nehmen. Wenn im Kino die Lichter ausgehen, leuchten schwach grün die Notausgangsschilder – im Falle eines Stromausfalls sorgt die Notstromanlage von Ruhstrat im Hintergrund dafür, dass jeder sicher den Weg zum Ausgang findet. Und im Elbtunnel regeln die Ruhstrat-Transformatoren die Lichtdimmung, so dass es von außen nach innen dunkler wird.
Der Name Ruhstrat ist in Südniedersachen eine feste Größe, oft sieht man Firmen-Pkw mit dem Schriftzug durch die Region fahren. Die wenigsten allerdings wissen, dass es zwei ,Ruhstrats‘ gibt, beide gehen auf die Unternehmensgründung der Gebrüder Ruhstrat von 1888 zurück (siehe Kasten). Das Haus- und Versorgungstechnikunternehmen in Göttingen, zu dem die Firmenfahrzeuge gehören, kennt fast jeder. Doch die Ruhstrat-Gruppe aus Bovenden, unter deren Dach die RPT Ruhstrat Power Technology und die RSV Ruhstrat Stromversorgungen vereint sind, ist regional kaum sichtbar, dafür aber mit ihren Sicherheitsprodukten in der Stromversorgungsinfrastruktur weltweit gefragt.
Kurz gesagt, stellt RSV Sicherheitsleuchten und Batteriesysteme für die Notstromversorgung her, während RPT Transformatoren, Netzspannungsstabilisatoren und Prüftechnik anbietet. Gerade im Bereich der Transformatoren ist das Unternehmen hoch innovativ, es gibt viele Sonderanfertigungen. In einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit einem großen Chemieunternehmen wurde jüngst eine Pilotanlage konzipiert, mit der großmaßstäbliche Wärmeprozesse von fossilen Energien auf erneuerbare umgestellt wurden.
„Es sind Nischen, in denen wir uns bewegen und keine Massenanwendungen“, sagt Geschäftsführer Andreas Möbus. „Aber in unsere Produkte fließt über 100 Jahre Spezialwissen ein, wodurch sich die Firma große Bekanntheit und Alleinstellungsmerkmale erarbeitet hat.“ So zum Beispiel in der Entwicklung von Prüfsystemen. „Auf der Südlink-Trasse werden große Hochspannungskabel verbaut, die von den Kabelherstellern vorab geprüft werden müssen. Dafür bauen wir spezielle Prüfsysteme. Weltweit gibt es keine Handvoll Unternehmen, die so etwas als Komplettsystem mit Steuerung und Regelungstrafo anbieten können.“
Und die Ruhstrat-Technik ist auf Qualität und Dauer angelegt. Ein niederländischer Glashersteller hat angefragt, seine Ruhstrat-Transformatoren 2025 warten zu lassen – geliefert wurden diese 1970.
.Die letzten 20 Jahre waren für die Ruhstrat-Gruppe eine durchaus wechselvolle Zeit. 2002 übernahm Andreas Ruhstrat in vierter Generation das Unternehmen von seinem Vater. „Ich kenne das Unternehmen von klein auf. Als ich sieben oder acht Jahre alt war, habe ich in den Ferien angefangen, hier meine Elektronikbasteleien zu machen.“ Seine Technikaffinität brachte Andreas Ruhstrat dazu, Elektrotechnik zu studieren. Als dann die Frage nach der Unternehmensübergabe anstand, wechselte er von einer Unternehmensberatung zurück. „Ich habe mich dem Unternehmen immer verbunden gefühlt und bin deswegen hier eingestiegen.“
Außer den genannten Geschäftsbereichen gehörte damals auch noch eine Sparte für den Industrieofenbau zum Unternehmen. In dem Bereich entwickelten sich Kooperationen mit dem Eisenmann-Konzern, der auch Interesse hatte, die Sparte ganz zu übernehmen. 2012 entschied sich Ruhstrat dann, den Industrieofenbau zusammen mit dem Transformatorengeschäft zu verkaufen – diese existierten fortan als Eisenmann Thermal Solutions im Gewerbegebiet Area 3 in Bovenden. Andreas Möbus wechselte damals mit zu Eisenmann. „Es hat sich dann allmählich gezeigt, dass dieser Bereich schwer in die Struktur des großen Sonderanlagenbaus von Eisenmann integriert werden konnte, weil es ein kleiner Bereich mit Nischenmärkten war“, so Möbus. Gleichzeitig wurde immer mehr outgesourct, während vorher Ruhstrat noch eine sehr hohe Eigenfertigung der Komponenten hatte.
Andreas Ruhstrat hatte derweil immer ein Auge auf die Entwicklung der alten Geschäftsbereiche. „Im Industrieofenbau sind bei Eisenmann zweistellige Millionenbeträge aufgrund strategischer Fehlentscheidungen versenkt worden. Das mitzuerleben, tat weh.“ Daher verhandelte Ruhstrat mit Eisenmann auch über einen Rückkauf, allerdings wenig erfolgreich. Als dann jedoch Eisenmann zunehmend in eine wirtschaftliche Schieflage geriet und sich die Insolvenz abzeichnete, ging Andreas Ruhstrat erneut auf den Konzern zu. „Dann war ein Verkauf plötzlich möglich.“ 50 Mitarbeiter und der Geschäftsbereich der Transformatoren wechselten daher 2019 wieder zurück in das alte Stammhaus im Bovender Ortsteil Lenglern. Der Industrieofenbau wurde von OneJoon übernommen.
„Mir war es wichtig, die Arbeitsplätze zu sichern und den Traditionsbereich zu erhalten“, sagt Andreas Ruhstrat im Rückblick. „Wenn wir das nicht getan hätten, wären die Sparte und die Arbeitsplätze platt gewesen. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche.“ Der Grund: Ein vergleichbares Unternehmen, das Interesse daran gehabt hätte, den Standort zu erhalten, gab es in Südniedersachsen nicht. Die Hann. Mündener HTT Hochspannungstechnik und Transformatorbau GmbH ist zwar auch ein Transformatorenhersteller, nutzt aber eine ganz andere Technologie.
„Die Zeit nach dem Kauf war aber auch eine schwierige, weil wir von Eisenmann die typischen Konzernwasserkopfstrukturen zurückübernommen haben und daher erst einmal zwei Jahre lang sanieren mussten“, sagt Andreas Ruhstrat. Und Andreas Möbus ergänzt: „Wir wollten auch den Prozess des Outsourcings umkehren und die Wertschöpfung durch eigene Vorarbeiten wieder bei uns schaffen und nicht bei vorgelagerten Lieferanten, um so die Qualität unserer Produkte besser beeinflussen zu können.“ Hinzu kam, dass die Sanierungszeit auch noch mitten in die Unsicherheit der Pandemie hineinfiel – schwierig war weniger die Auftragslage, sondern die Arbeitsorganisation, denn Lockdowns und Abstandsregeln vertrugen sich nicht so gut mit einer Produktion, die bei Ruhstrat einen sehr starken Manufakturcharakter hat. Immerhin half, dass plötzlich landauf, landab sich alle möglichen Kliniken meldeten, die ihre Notstromsysteme in Operationssälen dringend reparieren und warten lassen wollten.
„Inzwischen stehen wir sehr gut da“, so Ruhstrat. 65 Mitarbeiter beschäftigt die Ruhstrat-Gruppe derzeit, der Jahresumsatz liegt bei rund 16 Mio. Euro. Der Rückkauf ermöglichte auch eine interne Umstrukturierung und die Aufteilung des Unternehmens in die beiden separaten GmbHs RSV und RPT, die jeweils ganz andere Kunden- und Vertriebsstrukturen haben. „Dadurch hat insbesondere der Geschäftsbereich der Transformatoren die notwendige Dynamik bekommen und konnte in den letzten beiden Jahren den Umsatz verdoppeln.“
Große Umwälzungen in der traditionell eher konservativen Energietechnik kamen und kommen auch durch die Digitalisierung der Elektronik. „Das hat das Unternehmen in den letzten 20 Jahren stark transformiert“, meint Andreas Ruhstrat. „Integrierte Software- und Hardwareentwicklung sind die zentralen Themen für uns. Diese komplexen Lösungen entwickeln wir selbst. Früher gab es die Glühbirne, heute ist es das Smart Home. In der Industrie ist die Entwicklung entsprechend.“ Das zeigt sich auch an der Zunahme von Forschungsprojekten, die Ruhstrat gemeinsam mit verschiedenen Hochschulen durchgeführt hat. Gerade in den vergangenen zwei Jahren geht es
vermehrt darum, durch neue komplexe Technologien die Auslastung bestehender Netze zu erhöhen und den Puffer in den Netzen zu verringern, um die Schwankungen im Gefolge der Energiewende besser
kompensieren zu können und so die Versorgungssicherheit zu erhöhen.
Dafür braucht es schnelle Regelvorgänge, die nur durch Mikroprozessorsteuerung möglich sind. Die alte
Mechanik hat zunehmend ausgedient. Ruhstrat bewegt sich dabei ganz vorne an der Spitze dieser Neuentwicklungen mit, ist sich Andreas Ruhstrat sicher. Das allerdings hat auch schon Tradition. Bereits in den 1990er-Jahren stellte Ruhstrat auf der Hannover Messe ein erstes mikroprozessorgesteuertes Gerät vor. „Das war damals schon seiner Zeit voraus.“ ƒ
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