Auch für Fleischfans

Auf einem alten Hof in Wachenhausen entwickeln Anja und Roy Walowsky
vegane Brat- und Currywürste mit handwerklicher
Präzision, internationaler Erfahrung und persönlichem Einsatz.
Mit GöVegan schaffen sie es in große Supermärkte und die
Göttinger Uni-Mensa. Nun wollen sie regionale Erzeuger dazu
inspirieren, mitzumachen. 

» Wer sollte vegane Alternativen besser entwickeln können als ein traditioneller Fleischer?«

Der restaurierte Hof in Wachenhausen wirkt wie ein Ort, an dem die Zeit stehen geblieben ist. Wer durch das hölzerne Tor tritt, sieht Kopfsteinpflaster, eine wettergegerbte Scheune und ein Wohnhaus im restaurierten Fachwerk. Im Garten picken Hühner, in der Ferne grasen Rinder auf einer weitläufigen Weide, eingerahmt von sanften Hügeln, wie man sie nur in Südniedersachsen findet. Es ist ruhig hier, fast idyllisch. Und dennoch ist dieser Hof – der Thiehof – Ausgangspunkt einer Geschichte, die alles andere als ländlich-beschaulich ist. Dort entsteht ein Produkt, das seinen Ursprung weder in industrieller Planung noch in strategischer Marktanalyse hat, sondern in einem Gefühl: dem Wunsch, etwas zu bewegen.

Anja und Roy Walowsky leben und arbeiten in Wachenhausen, einem kleinen Dorf im Rhumetal. Sie sind ein Paar, das viel erlebt hat. Beruflich, privat, geographisch. Roy kam in Südafrika zur Welt, war in Australien, in Südafrika, in Europa unterwegs, und hat als Inhaber und Geschäfstführer eines internationalen Handels für Fleischereimaschinen eine Welt kennengelernt, die weit über die Grenzen Niedersachsens hinausreicht. Anja hat im Hotelfach und zwanzig Jahre am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung gearbeitet, war ebenfalls international unterwegs und hat dabei nie den Blick für das verloren, was wirklich zählt: Menschen, Begegnungen, Erfahrungen. Gemeinsam betreiben sie heute in ihrem Hof einen kleinen Laden für Wein und Spezialitäten. Und genau dort beginnt die Geschichte von GoeVegan, ihrer eigenen veganen Produktlinie, die sich mittlerweile einen festen Platz in regionalen Supermärkten erobert hat.

Die Idee entstand nicht aus dem Wunsch heraus, sich dem Zeitgeist zu beugen oder einer Marktchance hinterherzujagen. Vielmehr war es eine Mischung aus Beobachtung, Gesprächen und einer gewissen Offenheit gegenüber dem, was sich verändert. Anja erzählt, wie Freundinnen immer häufiger sagten, dass sie gern einmal etwas Veganes essen würden, obwohl sie Fleisch nicht grundsätzlich ablehnen. Und auch bei den eigenen Kindern sei das Bewusstsein gewachsen, dass nicht jeden Tag Fleisch auf den Tisch muss. Als dann das Studierendenwerk in Göttingen verkündete, dass in wenigen Wochen komplett auf vegane Küche umgestellt werden soll, war für die beiden klar: Wir probieren das. Sie begeisterten Freund und Fleischermeister Karl-Heinz Koithahn aus Hattorf am Harz, der die Produktion unterstützt. „Wer sollte vegane Alternativen besser entwickeln können als ein traditioneller Fleischer?“ sagt Roy Walowsky. Sein Freund sei sofort Feuer und Flamme gewesen.

Es begann in der Küche. 

Nicht in einer Versuchsküche eines großen Konzerns, sondern in ihrer eigenen, mit einem Thermomix, ein paar Eisformen und viel Experimentierfreude. Roy, der genau weiß, welche Konsistenz eine gute Wurst haben muss, kombinierte Erbsenprotein mit roter Bete, testete unterschiedliche Öle, überlegte, wie die Haptik stimmen könnte. Es war ein Prozess, der eher einem kreativen Handwerk als einem wissenschaftlichen Versuch glich. Und es war ein Prozess voller Rückschläge. Mal schmeckte es fade, mal war die Farbe zu blass, mal blieb der Darm an der Maschine hängen. Oft standen sie zu zweit vor Kisten voller misslungener Würste, fragten sich, ob das wirklich eine gute Idee war, und machten trotzdem weiter.

„Wenn ich etwas zusage, dann ziehe ich das durch“, sagt Roy. Diese Haltung zieht sich durch sein Leben. Ob als Unternehmer, als Familienmensch oder als Kommunal-politiker. Aufgeben ist keine Option. Auch dann nicht, wenn es einfacher wäre. Die beiden haben schon viel erlebt, auch Schmerzhaftes. Sie wissen, was es bedeutet, für etwas zu kämpfen, das nicht sicher ist. Vielleicht kommt daher diese Mischung aus Bodenhaftung und Mut, mit der sie sich immer wieder neuen Herausforderungen stellen. ‣

Die Zusammenarbeit mit dem Studierendenwerk war der erste echte Test. Dort sollte die vegane Currywurst nicht nur schmecken, sondern auch strenge Kriterien erfüllen. Die Inhaltsstoffe mussten bestimmten Vorgaben entsprechen, das Gewicht pro Wurst exakt sein, die Farbe möglichst natürlich. Rote Bete sorgte für eine schöne Tönung, doch sie machte die Verarbeitung schwieriger. Irgendwann aber passte alles. Konsistenz, Geschmack, Optik. Die ersten Lieferungen gingen raus. Das Feedback war positiv. Die Studierenden mochten das Produkt, die Mensen bestellten nach. Was als Versuch begonnen hatte, wurde zur Erfolgsgeschichte.

Doch Erfolg ist kein Selbstläufer. Die Suche nach passenden Zutaten gestaltete sich mühsam. Günstige Öle gab es viele, aber Roy und Anja wollten regionale, hochwertige. Auf einer Gartenmesse traf Roy einen alten Schulfreund, der mittlerweile eine kleine Ölmühle betreibt. Sein Rapsöl war naturbelassen, kalt gepresst, unfiltriert. Es passte perfekt. Auch wenn die Kalkulation damit schwieriger wurde, entschieden sie sich dafür. Weil sie wissen, dass gutes Produkt immer mit guten Zutaten beginnt. „Wir wollen ein gutes Gewissen haben, wenn wir unsere Produkte verkaufen“, sagt Roy Walowsky. Diese Haltung zeigt sich auch in der Zusammenarbeit mit regionalen Landwirten. „Wo immer es geht, setzen wir auf Rohstoffe aus der Region, vor allem heimische Erbsen und Ackerbohnen. Auf Soja wird komplett verzichtet.“ Die beiden suchten Partner, die bereit waren, Erbsen für die Wurstproduktion anzubauen. Nicht alle waren begeistert, doch einige erkannten die Chance. Gemeinsam diskutierten sie über Anbaumethoden, Bodenverträglichkeit und die Frage, ob ein regionales Eiweißprodukt auch wirtschaftlich tragbar sei. Es war eine neue Form der Landwirtschaftskooperation, getragen von Vertrauen und der Idee, gemeinsam etwas zu erreichen. In Zusammenarbeit mit einem großen Saatguthersteller in der Region wurde erstmals ein rein niedersächsisches Erbsenisolat entwickelt. „Für uns ist Regionalität keine Option, sondern Verpflichtung“, sagt Anja. Es gehe ihnen darum, sowohl Umwelt und Klima zu schonen als auch Wertschöpfung vor Ort zu schaffen. 

Das Netzwerk, das die Walowskys über Jahrzehnte aufgebaut haben, erwies sich als tragfähig. Viele ihrer Geschäftspartner wurden zu Freunden, viele Freunde zu Mitstreitern. Ob in Hamburg, wo sie erste Verkostungen durchführten, oder bei Rewe, wo ein Manager die Wurst bei einem Golfturnier probierte und spontan als eine der besten bezeichnete, die er je gegessen habe. Es sind diese kleinen Momente, die den beiden zeigen, dass ihr Weg der richtige ist.

Und doch gibt es auch die anderen Momente. Die, in denen der Darm in der Maschine stecken bleibt. Die, in denen 400 Becher Fleischsalat unverkauft im Kühllager stehen. Die, in denen ein Auftrag bei einer großen Handelskette am Preis scheitert. Roy erinnert sich an eine Ausschreibung, bei der sie mit ihrem Produkt in die letzte Runde kamen, am Ende aber doch absagten, weil sie ihre Zutaten nicht billiger einkaufen wollten. „Dann lieber mit gutem Gewissen kleiner bleiben“, sagt er.

Denn was die beiden antreibt, ist nicht der Wunsch nach Marktanteil, sondern das Bedürfnis, etwas zu schaffen, das sie vertreten können. Etwas, das schmeckt und zugleich ein Zeichen setzt. Ihre Kinder unterstützen sie, wo sie können. Die Familie ist eng verbunden, auch durch die gemeinsame Geschichte, durch die Verluste, aber auch durch die vielen kleinen Erfolge, die sie teilen.

Anja beschreibt es so: „Wir sind Menschen, die Verantwortung übernehmen wollen. Für unsere Heimat, für das, was wir essen, für das, was wir hinterlassen.“ Diese
Haltung zieht sich durch alle Entscheidungen. Von der Wahl der Verpackung bis zur Gestaltung der Etiketten. Alles soll rund sein, alles soll ehrlich bleiben. Wenn Etiketten einmal gedruckt sind und einen kleinen Fehler beinhalten,, werden sie trotzdem aufgebraucht. Nicht, weil man keine bessere Lösung kennt, sondern weil Nachhaltigkeit auch bedeutet, nicht zu verschwenden.

Neben der Currywurst gibt es mittlerweile weitere Produkte. Eine Bratwurst, ein Fleischsalat, neue Ideen für die kommende Grillsaison. Die Nachfrage wächst, auch wenn die Produktion nach wie vor aufwendig ist. Vieles geschieht in Handarbeit, manches mit Maschinen. Die Manufaktur ist noch nicht gebaut, aber sie ist denkbar. Der Ort dafür ist vorhanden. Die Ideen sowieso. Und das Netzwerk, auf das sie zurückgreifen können, ist größer als das vieler Start-ups. Gut zwei Jahre nach den ersten Versuchen sind die Gründer stolz auf das Erreichte. 

Was GöVegan besonders macht, ist nicht das Produkt allein. Es ist die Geschichte dahinter. Die Verbindung von Handwerk und Haltung. Von Erfahrung und Experiment. Von Weltgewandtheit und Regionalität. Von Menschen. ƒ

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