Am Anfang war das Rad

Zum zehnten Geburtstag des PS.Speichers begleitet faktor Kurator Karl-Helmut Larkamp bei der Oldtimer-Rallye und erfährt, was ein Auto können muss, um in die Ausstellung zu kommen. Und wie eine Zukunft des Mobilitäts-Museums ohne seinen Stifter Karl-Heinz Rehkopf aussehen wird.

Seit zehn Jahren lockt der PS.Speicher in Einbeck Hunderttausende Menschen in die Bierstadt, um die Geschichte des Automobils zu erleben. Dieses einzigartige Museum
entstand auf Initiative des Unternehmers Karl-Heinz Rehkopf. Zum zehnten Geburtstag veranstaltet er eine Oldtimer-Rallye, und faktor fährt mit. Am Steuer sitzt einer der engsten Vertrauten Rehkopfs und Kurator der Ausstellung, Karl-Helmut Larkamp. Auf der Fahrt durch Südniedersachsen sprechen wir über eine
besondere Freundschaft, die Freude am Fahren und die Zukunft des Museums ohne seinen Stifter.

HINTERGRUND ZUM KORNHAUS
Mithilfe eines preußischen Förderprogramms zur Errichtung von Getreidespeichern lässt die landwirtschaftliche Genossenschaft in Einbeck 1898 ein Kornhaus errichten. Es entsteht als sechsstöckiges Backsteingebäude mit hölzerner Innenkonstruktion, das rund 1.000 Tonnen Getreide fassen kann. Die Bauplanung und -durchführung übernimmt die Einbecker Firma Schramm. Bis ins Jahr 2000 wird das Kornhaus in Einbeck betrieben. Neben einem moderneren Silo-Gebäude der aus den 1960er-Jahren werden auch die historischen Schüttböden teilweise weiter genutzt. In den Folgejahren wechselt das Kornhaus mehrmals den Eigentümer und droht zur Industrie­brache zu verkommen.

Eckdaten
1934 Wiederaufbau des Erweiterungsbaus

1947 Bau einer Waage mit Wiegehäuschen

1964 Umbau und Aufstockung des Bürogebäudes

1978  Die beiden Speichergebäude werden unter Denkmalschutz gestellt.

Die 55 Pferdestärken schnaufen und trampeln, prusten und schlagen. Rasend wild kämpfen sie um die besten Plätze in sechs Zylindern. Sie schäumen an jedem Berg, peitschen bei jedem Gangwechsel. „Der BMW 326 von 1936 hat einmal Lída Baarová gehört“, erzählt Karl-Helmut Larkamp. Die einstige Gefährtin von ­Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels liebte Holzvertäfelungen und das offene Verdeck. Larkamp hat das Auto liebevoll restauriert, heute steht es neben 2.699 anderen Fahrzeugen im PS.Speicher in Einbeck. Zum zehnten Geburtstag des Mobilitäts-Museums darf der Wagen erstmals wieder über 162 Kilometer an einer ­Rallye teilnehmen. Am Steuer: Karl-Helmut Larkamp, engster Vertrauter und Freund von Museumsgründer und Stifter Karl-Heinz Rehkopf. Gemeinsam haben sie über Jahrzehnte Europas wohl größte Fahrzeugsammlung aufgebaut. Zum Geburtstag will faktor wissen, wie ihnen das gelungen ist.

Karl-Heinz Rehkopf ist als Händler zu einem ­finanziellen Vermögen gekommen. Dass er nebenbei ­Autos und andere Fahrzeuge in Garagen sammelte, wussten nicht einmal seine Familie und Freunde. Mit Vertrauten wie Karl-Helmut Larkamp zog der Unternehmer von Markt zu Markt, suchte aus, kaufte, restaurierte. Die Wagen standen in Garagen und Scheunen, Hütten und Häusern, vor der Öffentlichkeit verborgen. Im Testament soll stehen, dass nach dem Tod Rehkopfs ein Museum für die Sammlung gebaut wird. 2014 öffnet der PS.Speicher in Einbeck, Karl-Heinz Rehkopf lebt – und hatte es sich anders überlegt. Wenn er heute zum zehnten Geburtstag des Museums die Rallye anführt, strahlt aus seinem Gesicht eine kindliche Begeisterung, die Jahrzehnte von seinem eigentlichen Alter entfernt ist. Der 87-Jährige lebt sein Lebenswerk.

Neun Startnummern weiter hinten sitzt Karl-Helmut Larkamp am Steuer des BMW 326 von 1936: 55 PS, sechs Zylinder, zwei Liter Hubraum und die prominente Vorbesitzerin. „Wenn du sie siehst, erkennst du sie aus Filmen“, sagt er zu seinem Sitznachbarn. faktor-Redaktionsleiter Christian Vogelbein ist an diesem Tag sein Navigator. Die Strecke führt über 162 Kilometer und bei strahlendem Sonnenschein über Hattorf bis nach ­Duderstadt, über Berlingerode und durch große Teile des Landkreises Northeim zurück nach Einbeck. Das Fahrtenbuch zeigt Kurven, Serpentinen, Abbiegungen und Verkehrsschilder.

Am Morgen vor dem Start gibt es für die Fahrer eine kurze Einweisung und ein Frühstück. Bei Brötchen mit Käse und Kaffee mit Milch gesellt sich ein Paar aus Hameln an unseren Klapptisch. Sie nehmen mit einem alten bayerischen Polizeiwagen an der Rallye teil und erklären uns die Funktion des Fahrtenbuchs. Ihr Ehrgeiz deutet darauf hin, dass sie nicht bloß touristisch an der Ausfahrt teilnehmen, sondern Punkte sammeln wollen. Dazu sind versteckte Schilder mit Nummern auf der Strecke zu erkennen und kleine Aufgaben an Haltepunkten zu erledigen. Später überholen sie unseren BMW, stil­echt mit historischer Polizeimütze und Schiffchen. „Weißt du“, setzt Helmut an – wir sind sofort beim Du – „der Ehrgeiz killt den Spaß. Darauf habe ich keinen Bock.“ Der 70-Jährige lebt eigentlich in Berlin. Als Kurator der Ausstellung im PS.Speicher ist er maßgeblich dafür verantwortlich, welche Fahrzeuge der Sammlung hinzugeführt werden und welche nicht – ehrenamtlich. „Kein Auto“, sagt er, „wird ohne meine Zustimmung ­angeschafft.“ Mehrfach befuhr er schon die berühmte Rallye ,Mille Miglia‘, sah Männer weinen, die ihre Zeit nicht schafften, und raste selbst so schnell ins Ziel, dass die Bremsen glühten. Daran habe er mittlerweile den Spaß verloren. Heute schweben wir über die Landstraße, winken, hupen und verpassen eine Abbiegung.

Als er und Karl-Heinz Rehkopf sich kennenlernten, merkten sie schnell, dass sie ähnlich denken. Larkamp erzählt von einem Besuch auf einem Markt, als er ein historisches und ausgefallenes Fahrrad sah und Rehkopf sofort anrief. Der saß allerdings schon im Verkaufsraum, die Unterschrift trocknete bereits unter dem Kaufvertrag. „Wir haben recht früh gemerkt, dass wir gleich ticken.“ Noch heute ist er als Autohändler unterwegs, kauft, sammelt, restauriert und verkauft. Den Job in Einbeck macht er ehrenamtlich. Als Kurator ist er auch Teil des Aufsichtsrats und hat den großen Blick auf die riesige Sammlung. Bis aus dem Team eine Freundschaft wurde, hat Rehkopf ihn getestet. Beide lernten, sich zu vertrauen. Heute sind sie Vertraute und enge Freunde, auch ­privat. Deshalb gebe es auch genug Zeit, einmal nicht nur über Autos zu sprechen. Aber der Schnack über den Griff ans Lenkrad, das machen beide am liebsten.

Der Sechszylinder röhrt, der Auspuff bedankt sich für jeden Gangwechsel, indem er einen Tropfen Benzin unter lautem Knall verbrennen lässt. Dabei muss es gar nicht Super Plus sein. So komplex seien die alten Motoren nicht, sagt Larkamp. Ein besonderer Schatz der Ausstellung in Einbeck ist das älteste noch fahrende und zugelassene Auto in Deutschland: eine Benz Victoria von 1894. Als Karl-Heinz Rehkopf den Wagen vor zwei Jahren nach langer Restauration zum TÜV brachte, hielt er nicht an der Tankstelle, sondern an einer Apotheke. Das Leichtbenzin kommt direkt aus der Ampulle. Vor den TV-Kameras gab sich Rehkopf demütig. Er besitze das Auto nicht, dafür seien das Vermächtnis und die Bedeutung des Kutschenwagens mit der Produktionsnummer 99 für die Automobilgeschichte zu groß. Durch das Museum sei er in der Lage, nicht nur die Sammlung, sondern auch die Historie mit der Öffentlichkeit zu teilen.

Wie Karl-Heinz Rehkopf und Karl-Helmut Larkamp entscheiden, ob ein Auto in die Sammlung gehört, lässt sich zumindest bei der Benz Victoria an einer einfachen Besonderheit festmachen. Denn genau für dieses Fahrzeug wurde der erste Strafzettel für zu schnelles Fahren in Deutschland ausgestellt. Die Fahrzeuge müssen also nicht nur historisch sein, sondern in ihrer Existenz auch eine besondere Geschichte erzählen können. Und auch beim BMW 326 von 1936 schwärmt Larkamp noch immer von Schauspielerin Lída Baarová, die das Fahrzeug erst besonders mache.

So ganz kann der erfahrene Rallyefahrer seinen Ehrgeiz dann doch nicht abstreifen. Der BMW mit der Startnummer ,10‘ macht Kilometer gut, holt die vorderen Fahrzeuge ein: hubraumstarke Bentley und unfassbar laute Motoren. Recht früh erreichen wir auch das Fahrzeug mit der Startnummer 1. Das älteste Auto des Tages ist ein Elgin von 1917 mit einem Klang, der erahnen lässt, welche Urgewalten dort im Motorraum arbeiten. Der Wagen, optisch eine Mischung aus Flugzeug und Fahrrad, kriecht einen Berg hoch, nur um hinab aus einer der eigentlich viel zu kleinen Bremsen zu qualmen. Gerade einmal sieben dieser Fahrzeuge existieren noch, als Rennwagen ist es das einzige und letzte Modell. „Ihn zu fahren, ist, als würde man in einer Badewanne sitzen und versuchen, die Wasserhähne mit den Zehen aufzudrehen“, erzählt der Fahrer später. Bevor uns die Ohren platzen, setzt Larkamp zum Überholen an. Der Gruß, eine winkende Handbewegung, ist ehrfürchtig anerkennend.

Heute sind jährlich mehr als 100.000 Menschen dankbar dafür, dass Karl-Heinz Rehkopf seine Sammlung noch zu Lebzeiten der Öffentlichkeit zugänglich machte. Dafür kaufte er in Einbeck einen alten Kornspeicher und restaurierte ihn aufwendig. Daher auch der Name: PS.Speicher. Rund 25 Millionen Euro hat das gekostet. In den ersten Jahren wurde das Haus vom Liebhaberprojekt zu einem professionellen Unternehmen umgebaut: Marketing, Ticketing, Tourismus. Damit der PS.Speicher schwarze Zahlen schreibt, müssten laut Larkamp jährlich rund 250.000 Menschen durch die Kasse gehen. Dafür reiche am ehemaligen Kornspeicher der Platz nicht aus. Auch deshalb habe man sich entschieden, nach und nach die bisher für die Öffentlichkeit geschlossenen ­Depots zu öffnen. Große Lagerhallen, in denen jene Fahrzeuge gelagert werden, die es (noch) nicht in den PS.Speicher geschafft haben. Die Depots sind inzwischen selbst zur Ausstellungsfläche geworden und zeigen unter anderem Lastwagen und Spezialfahrzeuge.

Das erste große Etappenziel und damit Halbzeit der Oldtimer-Rallye ist vor dem historischen Rathaus in ­Duderstadt. Dank der niedrigen Startnummer und einem warm gefahrenen BMW bekommen wir einen Parkplatz direkt in der ersten Reihe. Vor allem aber Zeit, jedes der nach uns eintreffenden Fahrzeuge genau zu betrachten. 

Karl-Helmut Larkamp ist ein ruhiger Mann, der beim Thema Mobilität aber zu jedem Rädchen eine Geschichte auf Lager hat. Als sich die Fahrzeuge nach und nach entlang der Innenstadt von Duderstadt aufstellen und wir wie an einer Promenade an ihnen vorbeigehen, erzählt er zu jedem Auto kleine Anekdoten und Erinnerungen. Dabei vergisst er auch glatt seinen Hunger, den er schon zum Start der Rallye angekündigt hatte. Es gibt Spätzle mit Gulasch, wahlweise Hähnchen, etwas Salat und Pudding. „Bei den Rallyes in Italien gab es oft nur für die ersten 200 Fahrer etwas zu essen“, erzählt Larkamp. Heute reicht die Küche aber bis zum Schluss.

Zum Start der Rückfahrt steht die Sonne hoch und das Publikum schon lang. Der BMW ist warm gefahren, „er läuft jetzt deutlich besser als heute Morgen“, sagt Larkamp. Es ist die erste so große Ausfahrt nach der
Restauration, am Ende der Rallye bekommt der Wagen wieder seinen Stellplatz in der Ausstellung. Genau das, sagt Larkamp, mache den PS.Speicher so besonders. Jedes ausgestellte Auto sei in der Lage, fast sofort auf der Straße zu fahren. „Die Autos würden sich sonst kaputt stehen. Deshalb werden sie auch regelmäßig bewegt.“ Eine Rallye wie diese, die einmal im Jahr stattfindet, stelle die Mechaniker des Automuseums trotzdem vor Herausforderungen. Denn nicht nur müssen die Fahrzeuge auf die Straße, sondern auch die mehr als 100 Kilometer schadlos überstehen. Rund 40 aus dem eigenen Haus sind es in diesem Jahr. Der Rest: Gäste, die sich seit Monaten darauf freuen. Denn für Oldtimer-Freunde ist der
PS.Speicher in Einbeck so etwas wie ein Wallfahrtsort. Eine eigene Welt mit eigener Sprache und eigenen Werten. 

Auf der Rückfahrt von Duderstadt nach Einbeck philosophieren wir über die Zukunft der Mobilität und machen sie anhand jener Autos fest, die bald im
PS.Speicher stehen könnten. Fahrzeuge, die jetzt noch auf den Straßen unterwegs sind, werden einmal Zeuge einer Form von Mobilität sein, die es nicht mehr gibt. Das sorgt für Wehmut bei Larkamp. „Mir tut es leid, wenn ich sehe, dass die da vielleicht demnächst mit dem Handy ein Fahrzeug anfordern, das automatisiert fährt, sich dann da reinsetzen, mit dem Handy Büroarbeiten erledigen und dann irgendwo aussteigen.“ Denn für Larkamp ist Autofahren ein Erlebnis, der Weg das Ziel. „Und dann haben die keine Ahnung, wo sie hergekommen sind und mit was sie gefahren sind.“

Karl-Helmut Larkamp macht es Spaß und Freude, ein Automobil zu führen. Wir gehören zu den ersten, die am PS.Speicher einkehren. „Das Gaspedal klebte manchmal fest“, sagt Larkamp. Wohl auch im übertragenen Sinne. Kurz nach der Ankunft erreichen uns die Wetterprognosen für den Abend: Starkregen und Hagel. Die wertvollen Fahrzeuge werden umgehend in eine Lagerhalle gebracht, um sie zu schützen. Der Tag war eine Zeitreise durch die Geschichte des Automobils und des PS.Speichers. Seine Zukunft wird davon abhängen, wie viel Leidenschaft seine Macher investieren. Stand jetzt sieht es gut aus. Denn auch auf Unwetter und schlechte Zeiten sind sie vorbereitet.   ƒ

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