Vizepräsidentin Andrea D. Bührmann und Christina Qaim, Leiterin des Bereichs Wirtschaftskontakte,  von der Uni Göttingen, im Gespräch über die Frage, warum Frauen gründen – oder eben nicht.

Bild oben: Andrea D. Bührmann

Hier hat lange niemand mehr Staub geputzt“, sagt Andrea Bührmann, Vizepräsidentin der Georg- August-Universität, feststellend und wischt sanft ein paar Flocken vom Marmorkopf Dorothea Schlözers. Die Büste der 1770 in Göttingen geborenen Philosophin steht im Obergeschoss der Aula am Wilhelmsplatz – allein unter Männern wie Carl Friedrich Gauß. Woran liegt es, dass Frauen als Vordenkerinnen und Gründerinnen wenig beachtet werden? Dieser Frage geht Bührmann, die sich auf eigenen Wunsch parallel auch weiterhin als Gründungsbeauftragte der Sozialwissen schaft lichen Fakultät engagiert, auf den Grund – gemeinsam mit Christina Qaim, die als Leiterin des Bereichs Wirtschaftskontakte übergreifend für die Beratung und Förderung von Gründerinnen und Gründern der gesamten Universität verantwortlich ist.

Bei dem kürzlich ausgelobten Wettbewerb für junge Gründer ,Lift-off‘ haben sich nur sehr wenige Frauen beworben. 16 Teams, und es waren nur zwei Frauen dabei, die es dann aber nicht bis ins Finale geschafft haben …

Christina Qaim: Ja, das ist ein Thema, was uns schon seit vielen Jahren beschäftigt. Seit Juni vergangenen Jahres haben wir zwei
halbe Stellen, finanziert durch Studienqualitätsmittel, die sich speziell dem Thema Gründer innen widmen und entsprechende Veranstaltungen organisieren. Die Zahlen der Beratungen von Frauen in diesem Bereich sind angestiegen – wenn auch erst in den vergangenen Monaten. Überhaupt haben sich unsere Beratungszahlen insgesamt positiv entwickelt, was
sicher auch auf die starken Gründungsaktivitäten und den Pre- Inkubator des Südnie dersachsenInnovationsCampus, kurz SNIC, zu rückzuführen ist.

Die drei ausgezeichneten Gründerteams verfolgen Ideen, in denen es um Internetseiten und Apps geht – ein Bereich, in dem Frauen allgemein unterrepräsentiert sind. Woran liegt das?

Andrea Bührmann: Zu Beginn der Digitalisierung war das noch anders. Bis in die 1970er-Jahre haben viele Frauen in der Datenverarbeitung gearbeitet und waren an der Entwicklung von Computern und Programmen beteiligt. Irgendwann dachte man dann, dies sei eigentlich mehr etwas für Männer – geht es doch um Maschinen und abstraktes Denken. Und so gingen vermehrt Männer in diesen Bereich. Heute wirken die Geschlechterrollenstereotypen oft so stark, dass viele sich nicht mehr vorstellen können, dass Frauen so etwas erstens gut können und zweitens auch noch gerne machen wollen. Darum geht es ja auch in dem wunderbaren Film ,Hidden Figures – Unerkannte Heldinnen‘.

Qaim: Generell müssen wir uns fragen – und das ist nicht nur eine Aufgabe der Universität: Wie bekommen wir Mädchen dazu, sich mehr für naturwissenschaftliche Fächer zu interessieren und sich auch dem IT-Thema zuzuwenden?

Dass Frauen das nicht können, hat vor kurzer Zeit ja auch ein Google-Entwickler öffentlich gemacht. Hat die Internetbranche ein Problem mit Frauen?

Bührmann: Die Branche ist sehr stark auf Wettbewerb ausgerichtet. Natürlich suchen alle dann Vorteile, die sie nutzen können. Das macht ja Sinn. Und aus dieser Perspektive ist es doch eine vielversprechende Strategie, die Hälfte meiner Konkurrenz mit der Behauptung „die können das nicht“ zu diskreditieren. Leider glauben allzu viele Menschen diese Behauptung, anstatt sich auf Fakten zu stützen.

Christina Qaim

Qaim: Man denkt ja weitläufig, dass die Gründungsszene eine junge, dynamische ist, wo die Grenzen zwischen männlich und weiblich im weitesten Sinne – ich sage mal – aufgehoben sind. Es hat sich aber herausgestellt, dass Gründerinnen signifikant weniger Geld bekommen, wenn es darum geht, Investoren für ein Projekt zu begeistern.

Da lohnt sich auch ein Blick auf die von Frauen geführten Start-up-Firmen, die Millionenfinanzierungen bekamen: Unternehmen für Windeln, Zyklusberechnung, Babykleidung, Blumen und Handarbeiten. Müssen Frauen noch immer Stereotype erfüllen, um gefördert zu werden?

Bührmann: Das sind ja die Bereiche, bei d enen man in unserer Kultur typischerweise an Frauen denkt. Sie gelten dort als kompetent. Es kann natürlich sein, dass die Frauen gerade deshalb das Kapital bekommen haben, weil man ihnen zutraute, in diesen Branchen erfolgreich zu sein. Das ist wiederum sehr interessant. Warum sollten nur sie dafür qualifiziert sein? Und nicht Männer? Da sind wir genau bei diesen Stereotypen.

Gibt es – unabhängig von der Internetbranche – Gründe, warum Frauen sich nicht selbstständig machen?

Bührmann: Oft fehlen ihnen die Vorbilder, auch Männer, die unternehmerisch tätig werden. Oder sich unternehmerisch verhalten. Die Gründungskultur in Deutschland könnte – im Vergleich zu anderen EU-Ländern – stärker ausgeprägt sein. Und so wollen sich auch die meisten, die studieren, nicht selbstständig machen, sondern ein Beschäftigungsverhältnis eingehen.

Hält sie nicht vielleicht auch die große Arbeitsbelastung ab? Wie schwierig ist es tatsächlich, wenn Frauen, die in die Selbstständigkeit wollen, Kinder haben? Erst vor Kurzem erzählte ein junger Gründer davon, dass er am Tag nach der Geburt seines ersten Kindes noch im Krankenhaus den Laptop aufgeschlagen habe.

Bührmann: Es geht ja nicht darum, dass Frauen Kinder bekommen – vielmehr wird ein Paar Eltern, und meist kümmert sich die Mutter dann intensiver um das Kind. Und der Vater geht – und zwar zur Arbeit. Arbeitszeitstudien zeigen, dass sich nach der Geburt von Kindern in der Regel die Arbeitszeiten der Väter steigern und die der Mütter verkürzen. In einem Forschungsprojekt zum Selbstbild von Unternehmerinnen bin ich noch auf etwas anderes gestoßen: Da haben uns erfolgreiche Unternehmerinnen gesagt, es sei gerade gut, als Selbstständige ein Kind zu haben, weil die Restriktionen, dass man zu bestimmten Zeiten bei der Arbeit sein muss, in der Selbstständigkeit sehr viel geringer sind.

Um noch einmal auf den Beginn unseres Gespräches zurückzukommen: Wie sieht es konkret in Göttingen aus, Frau Qaim? In welchen Bereichen wollen die Frauen gründen, die in Ihre Beratung kommen?

Qaim: Das ist wirklich sehr unterschiedlich. Wir haben ja 13 verschiedene Fakultäten. Da weniger Studentinnen Lebens- und Naturwissenschaften studieren, kommen auch weniger, die sich diesem Thema widmen wollen. Stattdessen gibt es viel Nachfrage aus den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Mittlerweile ist jede zweite Beratung weiblich besetzt: entweder mit einer Gründerin, die eine eigene Idee hat, oder mit einer, die in einem Team mit männlichen Mitgliedern ist. Wir sehen also erste Erfolge. Für den kommenden Lift-off-Wettbewerb bin ich daher absolut optimistisch.

Frau Bührmann, Frau Qaim, vielen Dank für das Gespräch!

Fotos: Alciro Theodoro da Silva
Andrea D. Bührmann ist seit 2011 an der Georg-August-Universität Göttingen Professorin für Soziologie. Dabei beschäftigt sie sich in ihrer Forschung unter anderem mit Geschlechterfragen und dem Wandel der Arbeit. Seit Herbst 2013 leitet sie als Direktorin das damals neu gegründete Institut für Diversitätsforschung. Zwei Jahre später wurde sie zur Vizepräsidentin für Lehre und Studium gewählt. Parallel engagiert sich Bührmann auf eigenen Wunsch als Gründungsbeauftragte in der Sozialwissenschaftlichen Fakultät. Hier ist sie die erste Ansprechpartnerin und vermittelt Interessierte weiter an die Gründungsförderung der Universität.

Christina Qaim leitet seit 2014 den Bereich Wirtschaftskontakte und Wissenstransfer, zu dem auch die Gründungsförderung gehört. Vorher war sie Koordinatorin eines Netzwerks zwischen Promovierenden und der regionalen Wirtschaft. Vor ihrer Arbeit für die Universität Göttingen hat die studierte Ernährungswissenschaftlerin mehrere Jahre als Einkäuferin in verschiedenen Unternehmen in Frankfurt, San Francisco (USA) und Bonn gearbeitet.
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