Die bewegte Frau

Kirsten Gerberding engagiert sich als Stifterin in Holzminden und verbindet weltweit Menschen.

Prächtig und herrschaftlich ist der Anblick, wenn man den Kiesweg zur Villa Wiesenweg in Holzminden entlangläuft. Von innen ist sie genauso schön, wie das Äußere vermuten lässt: geschmackvoll eingerichtet, mit glänzenden Böden, aber auch gemütlich und einladend. Besucher werden von Hundegebell empfangen, denn Hazel passt gut auf die Villa auf. Kirsten Gerberding ist eine stilvolle, elegant gekleidete Frau, die ihre Gäste höflich begrüßt. Auf dem Fensterbrett stehen Fotos ihrer Kinder, Mitbringsel von zahlreichen Reisen schmücken dezent ihr Büro. Während des Gesprächs springt der Bayerische Gebirgsschweißhund auf ihren Schoß und beobachtet ihr Gegenüber neugierig. Doch Hazels liebstes Hobby ist wohl die Jagd, auf die sie ihr Frauchen stets begleitet.

Kirsten Gerberding ist eine Frau, die viel Gutes tut. Vor rund zehn Jahren gründete sie zusammen mit ihrem Mann, Horst-Otto Gerberding, ,Courage! Die Gerberding Stiftung‘. Seitdem unterstützen sie sinnvolle, nachhaltige sowie identifikationsstiftende Projekte für die Stadt und die Region, zum Beispiel die Musikschule Holzminden und einen Gesangswettbewerb für junge Menschen im Landkreis. Zusätzlich engagiert sie sich in der Stiftung Niedersachsen und sitzt im Vorstand des PS.Speichers in Einbeck.

Doch ihr Flaggschiff ist ,Das gelbe Band der Verbundenheit‘, das sich über die Holzmindener Stadtgrenze hinaus einen Namen gemacht hat. Der Gedanke kam Kirsten Gerberding, als sie im Oktober 2010 eine Reportage über junge deutsche Soldaten in Afghanistan las. Einer von ihnen war Anfang 20 und erzählte von seinem größten Wunsch: Er wollte nach Hause zu seiner Frau und seinem neugeborenen Kind. „Diese Geschichte hat mich sehr bewegt“, erinnert sich Gerberding mit leiser Stimme. „Und nur wenige Tage später erfuhr ich, dass auch junge Bundeswehrsoldaten aus Holzminden – direkt aus meiner Heimat – zum Einsatz nach Afghanistan entsandt werden, und das gleiche Schicksal teilen.“ In diesem Moment beschloss sie, ihre Solidarität zu bekunden, zu helfen und zu unterstützen – die Idee für ihr Flaggschiff war geboren. „Wir wollten Haltung, Respekt und Wertschätzung zeigen.“

Die Stoffbahnen des gelben Bandes sind 15 Zentimeter breit und erstrecken sich heute auf unzählige Meter. Sie sind voll mit warmen, herzlichen Worten, die Bürger, Politiker, Eltern und Freunde finden. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel hat hier ihre Wünsche handschriftlich verewigt. Es wird unter anderem nach Afghanistan, Mali und in den Kosovo verschickt, also dorthin, wo junge Deutsche ihren Dienst leisten – fernab ihrer Heimat, Familien und Kinder.

Anfänglich hörte Gerberding oft den Vorwurf, sie würde mit diesem Projekt die Militäreinsätze Deutschlands unterstützen. „Da musste ich gegenhalten“, erzählt sie. Um ihr Vor haben ins Rollen zu bringen, ließ sie ihre zahlreichen Kontakte spielen. Sie warb unter anderem beim Fußballverein Hannover 96, stellte sich auf Marktplätze und wurde nie müde, so viele Menschen wie möglich für ihre Idee zu begeistern.

Mittlerweile liegt das ,Gelbe Band der Verbundenheit‘ sogar ganzjährig im Deutschen Bundestag aus. Demnächst soll es auch in deutschen Botschaften und bei Militärattachés im Ausland ausliegen. Immer wieder sucht Gerberding nach neuen Ansatz- und Verknüpfungspunkten, um ihre Projekte weiterzubewegen. Ihr Arbeitsalltag unterscheidet sich dabei kaum von dem vieler anderer. Morgens dreht sie zuerst eine große Runde mit Hazel, danach geht sie in ihr Büro in der Villa Wiesenweg. Post und E-Mails warten auf sie, Telefonate und Termine stehen an.

Doch wer ist eigentlich diese Frau, die sich auf so vielen Ebenen engagiert und stark macht für ihre Stadt? Kirsten Gerberdings ursprüngliche Heimat ist der Hof in Fürstenberg, die Heimat der gleichnamigen Porzellanmanufaktur, eine kleine Gemeinde im Landkreis Holzminden. Während ihrer Jugend gab es für sie nur eins: Pferde. Schon früh wirkte sie auf dem Hof ihres Vaters mit und pflegte, trainierte und bildete die Pferde aus, die der Landwirt dann verkaufte. Ihre Freunde genossen die Jugend, feierten Partys und hatten Dates – Kirsten hingegen musste auch an den Wochene nden früh aufstehen, weil sie an Reitturnieren teilnahm. Reumütig? Nein. Nur in Bezug auf die unentschlossene Haltung ihres jungen Ich, das sich keine Gedanken um seine Zukunft machte. Das sollte sie später wieder einholen.

,Oki‘, wie sie heute liebevoll von ihren Enkelkindern genannt wird, ist gerade einmal 21 Jahre alt, als sie den Unternehmersohn Horst-Otto Gerberding heiratet. „Gott sei Dank ist das gut gegangen“, sagt Kirsten Gerberding dazu und lacht herzlich dabei. Die beiden waren als Nachbarskinder zusammen großgeworden, doch er zog für sein Studium um. Sie erzählt, wie er früher mit seinem aufgemotzten Käfer durchs Dorf fuhr, und kommentiert: „Ich fand den so doof!“

Doch eines Tages, als sie sich nach langer Zeit wiedersahen, hat es doch gefunkt. Ihren Ehemann beschreibt sie als „aufrichtig, mutig und großherzig“ und erzählt, wie sie abends gemeinsam kochen und dabei Wein trinken. Oder besser gesagt, sie kocht, und er „schnippelt das Gemüse“. Lange Jahre hatte das Paar aber nicht so viel Zeit füreinander wie heute. Kaum waren sie verheiratet, übernahm er bei Dragoco in Holzminden den Geschäftsführerposten. Sein Großvater hatte die Firma einst gegründet – von einer Haarwasserproduktion in der Badewanne wuchs sie zu einem globalen Unternehmen heran. Später sollte aus dem Zusammenschluss mit dem Duft- und Geschmackstoffunternehmen Haarmann und Reimann der heutige Weltkonzern Symrise entstehen.

In einer Zeit ohne Smartphones, Notebooks und Internet wuchsen die drei gemeinsamen Kinder unter ihrer Fittiche auf. Während ihr Mann auf zahlreichen Geschäftsterminen um die Welt reiste, lebte Gerberding zeitweise wie eine alleinerziehende Mutter. Und dann kam er: der Moment, in dem sie – als sie 28 Jahre alt war – ihr junges Ich einholte. Gerade hatte sie ihr drittes und letztes Kind bekommen und fing an, ihr Leben zu hinterfragen. „Immer wieder stellte ich mir die Frage: Reicht es mir, nur Ehefrau zu sein?“

Ihre Antwort war ein neuer beruflicher Weg. Über einen glücklichen Zufall bekam sie die Möglichkeit, eine journalistische Ausbildung zu machen, und arbeitete jahrelang für diverse Zeitungen in Niedersachsen. Aber sie musste sich gegen den Willen ihres Schwiegervaters durchsetzen. Er sah eine repräsentative Rolle für sie vor – an der Seite ihres Gatten. Heute ist sie dankbar für die Unterstützung ihres Ehemanns und dafür, dass er ihr stets ihre Freiheiten ließ, ihre zahlreichen Projekte zu verwirklichen.

Und noch immer gibt es für sie viel zu tun. In ihren Augen ist gelungene Integration eine der größten Herausforderungen unserer heutigen Gesellschaft. Ihr Motto dabei ist: „Ich bin, weil wir sind.“ Nicht nur in ihrer Stiftungsarbeit sucht sie nach Projekten, um Hilfe in der Flüchtlingsarbeit zu leisten – sie geht auch als Privatperson mutig und mit gutem Beispiel voran. Vor rund zwei Jahren kam ihr der Gedanke, eine syrische Flüchtlingsfamilie im Kreis Holzminden persönlich zu begleiten.

Aber wie jeder von uns hatte auch sie ihre Zweifel und Ängste. Unsicher fragte sie sich im Vorfeld, wer diese Menschen sind, wo sie herkommen und was sie erlebt hatten. Doch sie sagte sich: „Unsere Stiftung heißt ‚Courage‘, und jetzt musst du auch selber mutig sein.“ Ein Besuch bei der Flüchtlingsfamilie löste ihre Bedenken auf. Das Schicksal der damals schwangeren, traumatisierten Frau berührte sie sehr. Seitdem besucht sie die junge Familie immer wieder auf einen Kaffee. Einmal nannte der Vater der Familie sie „du liebe gute alte Mutter“ – Kirsten Gerberding erzählt es zufrieden und mit einem strahlenden Lächeln.

Foto: Alciro Theodoro da Silva
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